Hier fahren Sie besser!
Neu- und Gebrauchtwagen auf automobile.at

Test Audi RS 6 Avant (2020): Ist der 600-PS-Kombi besser als ein AMG E 63?

Audi hat den mannhaftesten Kombi aller Zeiten gebaut. Aber fährt er denn auch vernünftig?

Motor1.com Deutschland: Auto-Tests, Auto-News und Analysen
Marke wählen

Was ist das?

Das hier ist ein Audi A6 Avant … der ganz offensichtlich von einem radioaktiven Bullen gebissen worden ist. Bisher hat es Audi bei jeder RS 6-Generation geschafft, die Muskelberge unter dem arg engen T-Shirt erfreulich cool und nicht prollig aussehen zu lassen. Dieses Mal ist es ihnen besser gelungen als je zuvor. Und das, obwohl noch kein Hemd in der Geschichte des Kombinationskraftwagens so unglaublich gespannt hat, wie dieses.

Um heroische 80 mm haben die Audi-Sport-Designer den neuen RS 6 in die Breite gezogen. Die Brachial-Front samt LED-Scheinwerfern stammt vom RS 7. Die Endrohre sind 33 Prozent größer als die XXL-Tröten des Vorgängers. Bis auf die vorderen Türen, das Dach und die Heckklappe übernimmt dieses Auto genau nada von einem normalen A6. Klingt nach Tuning-Unfall vor dem örtlichen McFit, gibt diesem Fahrzeug in Wirklichkeit aber eine Monumental-Ästhetik, der man sich nur sehr schwer entziehen kann. Geht es rein um die Optik, hat der einzige wirkliche Konkurrent, das Mercedes-AMG E 63 T-Modell, meiner unbedeutenden Meinung nach wenig zu melden. Aber natürlich geht es nicht nur um die Optik.

Welch Erkenntnis! Was kann er, außer auszusehen, wie eine fahrende Steroid-Überdosis?

Nun, technisch ist der RS 6 quasi der eineiige Zwilling des neuen RS 7. Den konnten wir bereits vor ein paar Wochen ausprobieren und waren durchaus angetan. Gute Nachrichten also für alle Liebhaber schneller Avants: Sollte der Praktikant nicht die Diskette mit den Fahrwerkseinstellungen verloren haben, kriegen Sie hier ein Auto, dass dem Vorgänger fahrdynamisch komplett die Löffel langzieht.

Einen nicht unwesentlichen Anteil daran dürfte die erstmals im RS 6 erhältliche Hinterradlenkung haben. Sie kommt zusammen mit einem Hinterachs-Sportdifferenzial und einer Vmax-Anhebung auf 280 km/h im 4.000 Euro teuren Dynamik-Paket. Wer 305 fahren will, muss das Dynamik-Paket Plus buchen (geht jetzt auch mit Luftfederung), das obendrein eine furchteinflößend große Keramikbremse beinhaltet und deshalb horrende 12.500 Euro verschlingt. Ein adaptives Luftfahrwerk mit nun um 50 Prozent strafferer Federrate ist Serie. Gegen Aufpreis kriegen Sie aber auch eine etwas fokussiertere Lösung mit adaptivem Stahlfahrwerk. Bei diesem sogenannten DRC-Fahrwerk sind die Dämpfer über Kreuz mit Ölleitungen verbunden. In Kurven gelangt über ein Zentralventil ein zusätzlicher Ölstrom in den Dämpfer und verstärkt so die Dämpfkraft, was zu weniger Wank- und Nickbewegungen führen soll. Mit beiden Fahrwerken liegt der RS 6 um 20 mm tiefer als ein normaler A6, drückt man sich im Fahrmodus-Menü auf Dynamic, sind es 30 mm.

Weil zuletzt mehr als 50 Prozent aller RS 6 mit Anhängerkupplung geliefert wurden, ist selbige erstmals unabhängig vom gewählten Fahrwerk zu haben (bisher nur mit Luftfahrwerk). Theoretisch können Sie nun also einen Hänger mit mehr als 300 Sachen hinter sich herziehen. Bitte tun Sie es nicht. 

Für Vortrieb sorgt auch hier ein 4,0-Liter-Biturbo-V8 mit 600 PS und 800 Nm Drehmoment. Das wirkt in Anbetracht der aktuellen Diskussionen sündiger als ein 90er-Jahre-Madonna-Video, weshalb die Ingolstädter Motorenentwickler mit allerlei Spritspar-Technik um Absolution bitten. Dank Riemen-Startergenerator, kleinem Lithium-Ionen-Akku und 48-Volt-Bordnetz wird der RS 6 zum Mildhybrid, der rekuperiert und mit abgeschaltetem Motor segelt. Außerdem kann er, wenn nicht benötigt, vier seiner acht Zylinder abschalten. Alles in allem bringt das … naja, gar nicht mal so viel. Audi spricht von bis zu 0,8 Liter Ersparnis auf 100 km. Der Normverbrauch liegt bei 11,5 Liter.

Und, fährt er so gut wie der RS 7?

Obwohl Audi sagt, dass es eigene Fahrwerks-Applikationen mit kleineren Unterschieden gibt, fühlt es sich hier drin schon sehr wie im RS 7 an. Darüber dürfen Sie sich ruhig freuen, denn es bedeutet, dass der neue RS 6 Avant einen Grad an Agilität und Handling-Finesse aufweist, den man bei den großen Maschinen aus Neckarsulm so bisher nicht kannte. 

Vor allem mit dem DRC-Stahlfahrwerk ist es schon ziemlich beeindruckend, was der 2.150-Kilo-Brummer auf die Straße zaubert. Das Einlenken, wie das Auto die Richtung wechselt - das wirkt deutlich zackiger und akkurater als in der letzten Generation. Der RS 6 bewegt sich flüssig, sehr harmonisch, überraschend natürlich. Daran hat auch die Lenkung ihren Anteil. Audi und die Lenkungen - das war in der Vergangenheit ein eher schwieriges Verhältnis. Hier ist die Umsetzung wirklich gut geglückt. Gerade wenn man sie im RS-Menü nicht auf supersportlich stellt, ist sie leichtgängig, sehr rund und liefert erfreulich viel Feedback. 

Wie die Vorgänger-Generation lebt auch der neue RS 6 zu einem guten Teil von seinen absurden Grip-Verhältnissen. Feuern Sie ihn mit viel Speed (auch bei eher widrigen Wetterbedingungen) durch die Kurve, hauen Sie das Gaspedal noch vor dem Scheitel unbarmherzig in den Boden und das Auto wird sie ohne mit der Wimper zu zucken und völlig verlustfrei auf der anderen Seite wieder hinauskatapultieren. Bisher war das eine zuverlässig präzise, wenn auch etwas plump-eindimensionale Veranstaltung.

Der neue RS 6 legt hier erfreulicherweise eine Schippe drauf.

Seine Allradabstimmung wirkt lebendiger, gefühlvoller. Man merkt, wie sich das Auto unter einem bewegt, kriegt sogar mal einen leichten Drift, wenn man das ESP deaktiviert und die Vernunft ein bisschen hinten angestellt hat.

Klar, das sind dumme Journalisten-Beobachtungen, die im Alltag keine Rolle spielen. Und der Großteil der RS-Kundschaft liebt das Auto, weil es eben kein verspielter Halodri, sondern eine ultraschnelle Traktionsbastion ist. Aber die Grundtugenden sind ja nicht weg, sie wurden lediglich um eine willkommene Schicht Leidenschaft und Fahrspaß erweitert.

Schön auch: Mit dem DRC-Fahrwerk federt der RS 6 nie wirklich hart. Selbst mit den optionalen 22-Zöllern bietet er ein Komfortlevel, das im Alltag absolut in Ordnung geht. Da hauen so ein E 63 oder ein M5 schon in ganz anderem Maße auf die Knochen. Sollten Sie das Auto ausschließlich für die Fahrten des täglichen Bedarfs nutzen und das querdynamische Potenzial eher uninteressant finden, sind Sie mit dem Luftfahrwerk aber sicher besser dran. Hier wird nochmal deutlich feiner, ja fast schon flauschig, gefedert. Allerdings spürt man schon auch, dass das Auto im Handling weniger scharf agiert.

Ein Wort noch zur Bremse: Auf den Testwagen war ausschließlich die 8.500 Euro teure Carbon-Keramikanlage mit ihren monumentalen 10-Kolben-Sätteln und 440-mm-Frontscheiben montiert. Das Ding spart 34 Kilo Gewicht, reagiert extrem bissig, hat den Koloss hervorragend im Griff und ist deswegen womöglich eine Überlegung wert.

Gibt es denn auch irgendwelche Schwächen?

Die gibt es absolut. Dass die Sitzposition ein wenig zu hoch ausfällt, dürfte für die meisten Interessenten eher weniger ins Gewicht fallen. Vermutlich gewöhnt man sich auch schnell daran. Gerade, weil das Gestühl selbst einen famosen Eindruck hinterlässt.  

Schwerer wiegen da schon - zumindest empfand ich es so - die leicht lethargischen Reaktionszeiten des Biturbo-V8. Bewegt man sich nicht im Dynamic-Modus, braucht er immer ein bisschen, bis er aus dem Bett kommt. Das ist zugegebenermaßen Jammern auf sehr hohem Niveau, aber die Achtzylinder-Adrenalinbomben von AMG und BMW reagieren gefühlt wacher und wirken im Antritt und Durchzug noch bestialischer. Der Spurt von 0-100 gelingt dem RS 6 in 3,6 Sekunden, die 200 km/h sind nach 12 Sekunden erreicht. Es klingt erschütternd, aber damit ist der RS 6 auch faktisch ein gutes Stück langsamer als M5 oder E 63. Willkommen im Jahr 2020. Sorgen sollten Sie sich deswegen dennoch nicht zu viel. Wie es sich für einen vernünftigen RS 6 gehört, wird Ihnen auch diese Generation mit schöner Regelmäßigkeit die Falten aus dem Antlitz beschleunigen. Die Macht, seinen Insassen per Vortrieb körperliche Schmerzen zu bereiten, besitzt er definitiv. Und das mit einer stark verbesserten, mittlerweile wirklich pfeilschnellen und unerschütterlichen 8-Gang-Automatik sowie einem erfreulich sonoren und grimmigen V8-Soundtrack. 

Wie ist er innen?

Ziemlich wundervoll. Aber etwas anderes möchte man von einem mindestens 117.500 Euro teuren Performance-Kombi ehrlich gesagt auch nicht erwarten. Die Armada an Displays vorne drin dürfte Ihnen bei Audi inzwischen vertraut sein. So richtig anfreunden können wir uns mit dem Touchscreen für die Klimabedienung immer noch nicht (nehmt doch in Gottes Namen einfach Drehregler, die lenken so viel weniger ab), aber das MMI-Infotainment und das gestochen scharfe Head-up-Display können absolut überzeugen. Und das 12,3 Zoll große digitale Instrumentendisplay ist wohl immer noch das beste auf dem Markt. Besonders cool: Der Hockey-Schläger-Drehzahlmesser im Muscle-Car-Stil (in den Sportmodi) sowie das wunderbar in der Hand liegende Alcantara-Lenkrad. Unabhängig davon, welches Lenkrad Sie ordern, kriegen Sie darauf nun einen RS-Taster. Er ist ziemlich eindeutig von den Lenkrad-Knöpfen der M GmbH inspiriert und gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihre persönlichen Fahrdynamik-Einstellungen bezüglich Antrieb, Fahrwerk, Lenkung, Differenzial, ESP und Co. wie auf zwei Kurzwahltasten zu speichern. 

Der Platz im Fond des RS 6 ist ziemlich kolossal, allerdings ist dieses Auto auch gute fünf Meter lang, also loben wir ihn nicht zu viel dafür. Beim Kofferraum zeigt sich einmal mehr, dass Avants eher schöne als wirklich praktische Kombis sind. 565 bis 1.680 Liter sind in dieser Klasse eher klein. Wenn Sie also einen Renn- und einen Möbelwagen wollen, holen Sie sich ein AMG E 63 T-Modell.

Soll ich ihn kaufen?

Vieles spricht dafür. Der neue RS 6 sieht breiter aus als Dwayne "The Rock" Johnson und er ist der komfortable, uneingeschränkt alltagstaugliche "Herrscher der linken Spur", den die treue Kundschaft erwartet. Zusätzlich aber bietet die neue Generation ein fahrdynamisches Talent und einen Charakter im Handling, der bisher definitiv abging. Auch wenn er noch immer nicht so wild und extrovertiert fährt, wie ein E 63 oder ein M5, ist er den beiden nun nicht mehr nur auf der Geraden ein Gegner auf Augenhöhe. Im ständigen, unvorhersehbaren Auf und Ab zwischen tollen und weniger glorreichen RS-Modellen definitiv einer von den Guten. 

Fazit: 8/10

+ absolute Beastmode-Optik; fahrdynamisch erfreulich talentiert und involvierend; beeindruckendes Komfort-Level (sogar mit 22-Zöllern); hervorragende Bedienung; ansprechender Klang

- Motor nicht ganz auf Konkurrenz-Niveau; Fahrverhalten noch immer etwas zugeknöpfter als E 63 und M5; etwas hohe Sitzposition

© Motor1.com