Der mit Abstand beliebteste 911 steckt in der Hybrid-Klemme des großartigen Carrera GTS
Lassen Sie mich kurz für Verwirrung sorgen. Gehen wir davon aus, Sie sind auf der Suche nach einem brandaktuellen Porsche 911 Carrera (Baureihe 992.2). Sie wollen zeigen, was Sie haben, möchten folglich mehr als den Basis-Carrera, weil .. naja .. Basis halt. Anstrengende Purismus-Orgien samt manuellen Schaltvorgängen liegen Ihnen auch fern, weshalb der 911 Carrera T ausfällt.
Aber so ein 911 Carrera GTS mit seinen inzwischen heftigen 541 PS und allerlei neumodischem Hybrid-Firlefanz ist irgendwie wieder zu viel des Guten? Dann danken Sie Gott (und Porsche) für die ins Unendliche gehende Diversifizierung der 911-Baureihe, denn das große Facelift hat nun auch den Carrera S erreicht. Er ist freilich wieder mal stärker und schneller und soll in allen Belangen besser sein als der Vorgänger. Ob er nach wie vor der 911 Carrera der Wahl ist, klärt der erste Test.
Springen Sie direkt zu:
Exterieur | Interieur | Fahrbericht | Fazit
Dazu müssen Sie wissen: Seit der 997-Baureihe (2004 bis 2012) ist der Carrera S für die meisten Kunden der Elfer der Wahl. Er ist das weltweit mit großem Abstand meistverkaufte 911-Derivat. Gut jeder dritte 992 trägt ein "S" auf dem Heckdeckel. Los ging es übrigens 1965. Damals kam der erste 911 S mit 160 PS und mehr Ausstattung auf den Markt. Den ersten Carrera S gab es ab 1995 im 993. Mit 300 PS und 340 Nm aus einem 3,6-Liter-Saugmotor.
30 Jahre später sind wir bei 480 PS (+30 PS gegenüber dem 992.1 S) und 530 Nm angelangt. Selbstverständlich handelt es sich um den stärksten Carrera S aller Zeiten. Zudem gab es nie ein größeres Delta zwischen Carrera und Carrera S. 86 PS sind es nun.
Der Dreiliter-Biturbo-B6 ist trotz gleicher Leistungswerte allerdings keine direkte Übernahme aus dem alten GTS. Da die EU ohne Unterlass die Emissionsdaumenschrauben anzieht, waren Änderungen unvermeidlich. Sie kommen in Form neuer Turbolader und dem Ladeluftkühler-System aus dem 911 Turbo.
"Turbo" ist ein passendes Stichwort, denn von dessen gesichtsdeformierender Beschleunigungsgewalt ist der S weniger weit entfernt als je zuvor. Im Coupé passieren die 0-100 km/h nun in 3,3 Sekunden, noch eine Zehntel schneller als bisher. Maximal sind 308 km/h drin. 2 km/h mehr als vorher, falls Sie Besitzer des bisherigen S beim Porsche-Stammtisch quälen wollen.
Vorerst gibt es den S lediglich mit 8-Gang-PDK und Hinterradantrieb. Eine Allrad-Variante folgt so sicher wie das Amen in der Kirche. Eine mit Schaltgetriebe dafür definitiv nicht. Schuld sind wir alle. Bei einer Bestellrate von um die zehn Prozent habe es sich einfach nicht mehr rentiert, heißt es aus Zuffenhausen.
Positivere News kommen vom Team Fahrdynamik. Der S erhält die größeren Bremsen vom neuen GTS (Scheiben: 408 mm vorne, 380 mm hinten), genauso wie dessen hochgelobte Dämpfer-Technologie mit einer größeren Bandbreite zwischen minimalen und maximalen Dämpfkräften. Ich erzähle Ihnen gleich noch, dass Sie vermutlich nichts mehr anderes wollen werden. Die Federraten bleiben dabei übrigens identisch mit dem Vor-Facelift-Modell.
Ein PASM-Fahrwerk mit Verstell-Dämpfung sowie das Torque Vectoring Plus an der Hinterachse sind nun Serie. Ebenso 20-/21-Zoll-Räder mit 245/35er und 305/30er-Bereifung. Das straffere PASM-Sportfahrwerk mit 10 mm Tieferlegung gibt es wie eine Hinterachslenkung als Option. Gleiches gilt für die Keramikbremse, falls Sie gerne quietschig in den Tag starten.
Die Preise für den neuen 911 Carrera S beginnen bei 154.800 Euro. Das Cabrio kostet 14.200 Euro mehr. Damit ist er 18.500 Euro teurer als ein Basis-Carrera, auf der anderen Seite aber auch 20.700 Euro günstiger als ein Carrera GTS.
Demgegenüber punktet er optisch mit einem Gesicht, das nicht aussieht, als würde er eine feste Zahnspange tragen. Offensichtlich plant man die aggressiven Aero-Klappen des GTS auch in der Frontschürze des kommenden 911 Turbo-Facelift. Beim Carrera S ist glücklicherweise noch Eleganz an der Tagesordnung.
Schürzen, das Innenleben der Scheinwerfer (jetzt optional mit Matrix-LED-Laserlicht), Rückleuchten und Gitter über der Motorabdeckung wurden neu gestaltet. Zudem haben alle 992-Räder seit Kurzem einen Aero-Ring, der Sprit spart, allerdings nicht all zu viel fürs Erscheinungsbild der Alus tut. Kleiner Tipp für eine standesgemäße Reise ins Vintage-Land: die hervorragende neue Farbe Cartagenagelb Metallic für 1.975 Euro.
Die für den Alltag wichtigste Änderung am Interieur ist nicht etwa der neue Startknopf (natürlich links vom Volant), sondern das deutlich verbesserte, nun volldigitale Instrumentendisplay. Zuvor wurden ja einige Infos hartnäckig vom Lenkrad verdeckt. Das ist nun Geschichte.
Zudem hält ein schnelleres Infotainment Einzug, dass nun über einen Alexa-Sprachassistenten auch während der Fahrt, einen eigenen App-Store sowie Dolby Atmos-Sound verfügt.
Porsche verspricht ein erweitertes Lederangebot sowie insgesamt 18 Lederoptionen (plus die unzähligen Möglichkeiten der Exclusive Manufaktur). Das Cabrio-Verdeck gibt es in fünf verschiedenen Farben.
Ein wenig Vorsicht ist bei der Auswahl der Zierleisten auf dem Armaturenbrett geboten. Da sieht die ein oder andere Option nicht unbedingt aus, wie man sich das bei einem 155k-plus-X-Sportwagen wünschen würde. Testwagen mit Leisten in Glanzschwarz oder Carbon hatten dieses Problem nicht, das sah sehr gut aus.
Die relativ teuren adaptiven Sportsitze Plus (3.272 Euro) erwiesen sich im Test als bequem, was ich in der Vergangenheit nicht über jeden Elfer-Sitz behaupten konnte.
Dass ein 911 Carrera S auch nach einer größeren Überarbeitung keine 180-Grad-Kehrtwende in seinen generellen Charaktereigenschaften hinlegen würde, war abzusehen. Es elfert also auch in der neuesten Iteration, wie es sich gehört und wie man sich das wünscht. Inklusive einer Lenkung, die mit jeder Überarbeitung noch ein bisschen mehr mit den eigenen Gliedmaßen und Hirnwindungen zu verschmelzen scheint und einem Fahrverhalten, welches ungeheuer geschliffen und gripstark, aber trotzdem immer aufregend und sehr involvierend ist.
Dass der 911 inzwischen riesengroß ist und in der alltagstauglichen S-Version mit allem Pipapo auch ziemlich schwer (wir reden hier schon beim Coupé von mehr als 1.600 Kilo inkl. Fahrer), ist hinlänglich bekannt. Es beschert dem 992 nicht nur Freunde, gerade unter eher traditionell veranlagten Porsche-Fans. An der fahrdynamischen Exzellenz und dem nötigen Sportsgeist ändert das nichts.
Und wer will sich ernsthaft darüber beschweren, dass dieses Auto bei aller weiterhin vorhandenen Schärfe und Aggressivität immer komfortabler und alltagstauglicher wird? Im neuesten Fall ist mal wieder ein größerer Schritt gelungen. Ich sprach es bereits an. Die neuen Dämpfer aus dem Carrera GTS im Serien-Fahrwerk bieten ein Level an Abrollkomfort, das es so bisher nicht gab. Über alle Arten von Stößen, Bodenwellen und anderen Gemeinheiten, wohlgemerkt.
Das aufpreispflichtige PASM-Sportfahrwerk wirkt im direkten Vergleich um ein Vielfaches straffer, ohne sich im gewöhnlichen Fahrprofil so eines Carrera S irgendwo anders besonders hervorzutun. Sprich: Wenn Sie mit Ihrem S nicht permanent auf der Rennstrecke unterwegs sind, sparen Sie sich dieses Kreuzchen in der Aufpreisliste. Das neue Standard-Fahrwerk ist fantastisch.
Gleiches gilt für den Antrieb. Über die letzten Jahre hat sich der 3,0-Liter-Biturbo in seinen stärksten Ausbaustufen zu einem ziemlichen Monster entwickelt, das beim beherzten Tritt ins Pedal absolut in der Lage ist, auch trainierte Gesichtszüge zum entgleisen zu bringen.
Ob er sich mit dem neuen Super-Hybrid des 911 GTS messen muss, ist fraglich. Der hängt durch die E-Unterstützung gefühlt noch aggressiver und wacher am Gas, ist deutlich kräftiger, liegt aber preislich auch nochmal in einer anderen Range.
S-Kunden sollten es verschmerzen können. Denn Aggressivität, Wachheit und einen mehr als stabilen Punch kann man auch seinem neuen Aggregat vollumfänglich attestieren. Die neue Drehmomentkurve bietet nur Vorteile. Das maximale Drehmoment ist früher und länger vorhanden. Erfahrene Elfer-Piloten dürften es bemerken. Am 8-Gang-PDK gibt es ohnehin wie immer nichts auszusetzen. Sauschnell, ohne Flüchtigkeitsfehler auch beim Mehrfach-Runterschalten und sehr komfortabel, wenn es angebracht ist.
Der Klang schließlich profitiert von der nun serienmäßigen Sportabgasanlage. 75 Prozent der Kundschaft wählten sie ohnehin, da machte sie Porsche zum Standard. Nicht gar so wild, ungestüm und überraschend wie im neuen Hybrid-GTS, aber einer boxernden Sportwagen-Ikone durchaus würdig.
Der überarbeitete 911 Carrera S ist alles, was man von ihm erwartet. Er geht wieder mal ein Stückchen stämmiger vorwärts (wobei das inzwischen schon beängstigend stämmig ist) und mit dem neuen Serienfahrwerk macht er einen spürbaren Komfort-Sprung, ohne an Fahrdynamik oder Thrill einzubüßen. Auch im Interieur bietet er Ergonomie und Alltagstauglichkeit auf Top-Niveau, ohne weichgespült zu wirken. Ein sagenhaft guter Allrounder-Sportwagen, der wieder mal den Großteil der 911-Verkäufe ausmachen dürfte.
Zumal der sonstige Preis-Leistungs-Geheimtipp 911 Carrera GTS inzwischen deutlich höher positioniert ist eine größere Lücke lässt als bisher. Sowohl in puncto Performance als auch beim Preis.
Und damit wären wir bei einem der wenigen Kritikpunkte an diesem Gefährt. Denn Zuffenhausen hat in den letzten Wochen die Preise schon wieder signifikant erhöht. Ja, die Inflation hat überall Schneisen in unsere Geldbeutel geschlagen, aber als wir vor sechs Jahren den 992.1 Carrera S testeten, lag er bei 120.000 Euro Basispreis. Jetzt sind es fast 35.000 Euro mehr.
Den solventen 911-Fans scheint es noch nichts auszumachen. Der Elfer verkauft sich weiterhin blendend. Und natürlich ist das aufgrund seiner Fähigkeiten und seines unverrückbaren Images auch weiterhin nachvollziehbar.