Kann der kokette Kastenwagen im Kurzurlaub auf Korsika überzeugen?
Mit fortschreitendem Alter entwickeln sich meist Charakterzüge, die man wenige Jahre zuvor noch für unmöglich gehalten hatte. Beispielsweise der Wunsch nach mehr Komfort im Camping-Urlaub. Anfangs wehrt man sich noch dagegen, aber irgendwann mussten auch wir der inneren Stimme (und dem Rücken) zuhören.
Aus diesem Grund parkt jetzt ein VW Grand California 600 dort, wo vor Kurzem noch unser alter Mercedes 260 E (W124) mit einem Zelt im Kofferraum stand. Uff.
Aber genau wie für uns war auch für VW der Schritt vom normalen California zum Grand California ziemlich groß. Zumindest von offizieller Seite her, denn große Camper auf VW-Basis sind natürlich nicht so wirklich neu.
Westfalia (die Firma, die von 1989 bis 2004 auch den offiziellen California für VW auf der jeweils aktuellen T-Baureihe fertigte) baute nämlich schon die ersten LTs der späten 1970er Jahre zu Wohnmobil-Modellen wie dem Sven Hedin oder dem VW Florida um. Das macht Westfalia heute übrigens immer noch. Das Modell Sven Hedin baut allerdings mittlerweile auf dem zum Crafter baugleichen MAN TGE auf.
Seit 2019 ist es jetzt aber ganz offiziell und der Hersteller aus Hannover macht den VW Crafter zum hauseigenen XXL-California. Als knapp sechs Meter langen 600 und als knapp 6,80 Meter langen - Sie werden es ahnen - 680. Damit gehen dem legendären Namen California zwar so ein bisschen die Bulli-Wurzeln flöten, aber man hat endlich ein Konkurrenzprodukt im Programm, dass in einem unglaublich stark wachsenden Markt (wir werden eben doch alle älter und komfortbewusster) gegen die Schwemme von Weißware auf Fiat Ducato-Basis aus den Häusern Bürstner, Hymer, Pössl und Co. antreten kann. Ob das gelingt, klärt dieser Test!
Kommen wir zuerst zu den Abmessungen, denn der erste Gedanke, der meiner Partnerin beim Anblick des VW Grand California 600 in den Kopf schießt, ist: "Ganz schön groß." Mit den bereits erwähnten knapp sechs Metern Länge, einer Breite von mehr als zwei Metern und einer Höhe von rund drei Metern ist unser Camper für eine Woche Urlaub auf Korsika aber absolut im Durchschnitt dieser Fahrzeugklasse.
Ihr zweiter ausgesprochener Eindruck? "Ganz schön geräumig." Und da hat sie vollkommen recht. Wir räumen unsere Klamotten in die Flugzeugkabinen-ähnlichen Schränke über dem Bett im Heck, füllen den ausziehbaren Kühlschrank in der Küchenzeile direkt an der Schiebetür, verstauen Kochutensilien und Kleinkram in zahlreiche Fächer und laden größere Gepäckstücke über die Flügeltür unter das riesige Abteil im Heck, wo sich auch die Bordelektronik, der über eine Außenklappe befüllbare 110-Liter-Frischwassertank sowie die zwei 11kg großen Gasflaschen befinden.
Wie viele Kisten wir genau verräumen, haben wir uns nicht gemerkt. Es waren aber einige. Erstaunlich ist deshalb, dass wir trotz der ganzen Gegenstände beide nicht das Gefühl haben, dass wir den Grand California irgendwie auch nur ansatzweise an seine Belastungsgrenze gebracht haben. Der Innenraum sieht - vor allem wenn alle Schränke wieder verschlossen sind - nämlich im Grunde genauso aus wie vor der Lade-Orgie. Etwas flexibel und kreativ muss man bei dieser Disziplin aber sein. Doch dazu später mehr ...
Abfahrt. Um 16 Uhr. Vor uns liegen über 1.200 km, die wir über Nacht abspulen möchten, um die Fähre zu erreichen, die am kommenden Morgen um 7 Uhr den Hafen von Nizza verlassen wird. Der Dieseltank ist voll und der Bordcomputer attestiert uns eine Reichweite von gut 700 km.
Zumindest ein Tankstopp wird also nötig sein, um den 75-Liter-Tank wieder aufzufüllen. Spoiler: Die Fahrt meistert der Camping-Crafter problemlos. Sowohl die kurvig-bergigen Etappen in der Schweiz als auch den windig bis stürmischen Endspurt von der Mittelmeerküste von Genua nach Nizza. Großen Anteil daran hat der 2,0-Liter-Vierzylinder-Motor mit 177 PS und 410 Nm. Top.
Ein Traum bei diesen Etappen ist dabei aber nicht nur der Antrieb. Auch der Tempomat mit Abstandsfunktion, der die jeweils fahrende Person richtig gut entlastet, die bequemen Sitze und die Sitzposition an sich sowie das umfangreiche Infotainment-System machen Spaß.
Nicht so gut: Der Spurhalteassistent, der sich nach jedem Motorstopp aufs neue aktiviert und der ziemlich ruppig agiert. Er ist im Prinzip ständig dabei, ins Lenkgeschehen einzugreifen, denn durch die enorme Fahrzeugbreite denkt das System relativ oft, dass man im Begriff ist, die Fahrspur ungewollt nach links oder rechts zu verlassen.
Nach sechsstündiger Pause auf der Fähre erreichen wir also gegen Mittag gut erholt das französische Eiland im Mittelmeer. Zeit, einen Stellplatz für die erste Nacht zu suchen. Wir haben uns entschlossen, frei zu stehen. Ohne Infrastruktur. Dies hat zwei Gründe: Erstens haben auch auf Korsika eigentlich alle Campingplätze Ende November zu, zweitens haben wir eigentlich alles dabei.
Kaltes Wasser, warmes Wasser, eine Toilette, eine Dusche, eine Heizung, die auch über Gas betrieben werden kann und eine 92Ah-Zusatzbatterie, die bei längerer Standzeit über die 104-Watt-Solaranlage auf dem Dach nachgeladen wird. Ein bisschen Sonne vorausgesetzt.
Als Reisende mit Korsika-Erfahrung steuern wir also Plätze an, mit denen wir in der Vergangenheit mit kleineren Campervans schon gute Erfahrungen gemacht haben ... und werden schnell enttäuscht. Viele der erprobten Zufahrten sind plötzlich zu schmal für uns, die durch die sonst praktische Thule-Trittstufe an der Schiebetür doch begrenzte Bodenfreiheit und der lange Radstand schränken zudem die Offroad-Fähigkeiten enorm ein.
Und dann wäre da noch die Höhe. Immer wieder versperren Höhenbeschränkungen die letzten Meter zum ersehnten Spot am Aussichtspunkt oder dem Meer. Irgendwie war das mit einem kleinen California alles einfacher gewesen ...
Am Ende werden wir aber doch noch fündig. Schnell richten wir mit den aus dem persönlichen Hausstand stammenden Unterfahrkeilen (ohje ... wir werden wirklich alt) den Grand California auf dem unebenen Untergrund aus, drehen die vorderen Sitze entgegen der Fahrtrichtung, schieben die Tisch in dafür vorgesehene Metallschiene und sind damit quasi angekommen und bereit für die noch angenehmeren Teile des Urlaubs. Es ist aber mittlerweile schon spät geworden.
Machen wir also die Schotten dicht. An den meisten Fenstern und der Dachluken vom Hersteller Dometic geht das sehr fix. Hier lassen sich einfach eingebaute Rollos zuziehen, wo tagsüber gegebenenfalls die ebenfalls eingebauten Mückengitter ungewünschte Gäste draußen lassen. In der Fahrerkabine wird es etwas komplizierter.
Die blick- aber nicht sonnendichten Vorhänge mit Magneten für die Seitenfenster kennen wir bereits aus dem normalen California, das System aus zwei Miniatur-Zeltstangen und den Halterungen für die Sonnenblenden ist aber neu für uns. Diese Lösung funktioniert zwar, ist aber nicht wirklich elegant und clever. Schade.
Die Nacht auf dem quer verbauten Bett mit Tellerlattenrost entschädigt aber. Denn das 1,93 Meter lange und 1,40 Meter breite Bett im 600er reicht vollkommen aus für zwei Personen. Und selbst dann, wenn einer der beiden knapp 1,90 Meter groß ist. Dazu die USB-Steckdosen für Smartphones, die LED-Lampen an jedem Platz und ein kleines Ablagefach sowie ein Knopf für die Zentralverriegelung in Griffweite.
Perfekt. Und eigentlich besser als daheim. Nervig wird es nur, wenn man als an der Heckklappe schlafender Reiseteilnehmer zuerst wach wird und über die Nebenschläferin klettern muss, um das Bett am Morgen wieder zu verlassen.
Zeit für die Routine am Morgen. Toilette, Zähneputzen, Dusche. Alles in einem Raum, der vielleicht halb so groß ist wie eine durchschnittliche Flugzeugtoilette. Und was soll ich sagen ... es funktioniert extrem gut. Nur auf die Reihenfolge sollten Sie achten, denn sobald Sie den Duschkopf aktiviert haben (der Dank ausziehbarem Schlauch auch gleichzeitig der Hahn für das Waschbecken ist), ist die gesamte Kabine nass. Ohne dass aber Waschutensilien, Toilettenpapier oder korrekt verstaute Handtücher feucht werden. Wellness auf 0,5 Quadratmetern. Großartig.
Nicht durchdacht ist allerdings der Küchenblock. Gerade in der 600er-Version fehlt es an unterschiedlich aufgebauten und großen Stauräumen für den ambitionierten Campingkoch. Nehmen Sie also nur das nötigste an Kochgeschirr mit und allzu viele Trocken-Vorräte können auch nicht verstaut werden.
Beim 70 Liter großen Kühlschrank mit Eisfach (ja, mit EISFACH) ist das Fassungsvermögen aber mehr als ausreichend - selbst für mehrere Tage und mehr als zwei Personen. Kochen tut es sich dank der Stehhöhe sehr angenehm auf dem 2-Flammen-Herd und mit ein bisschen Übung kommt man auch mit den wenigen Ablagen zurecht. Genauso verhält es sich mit der Spüle.
Alle weiteren Camping-Funktionen, die nicht die Küche betreffen, lassen sich über ein zentrales Bedienfeld an der Außenwand der Nasszelle bedienen. Die Standheizung (geht super schnell), die Ambiente-Beleuchtung (macht es richtig kuschelig im Heck) oder die Warmwasserbereitung mit 10-Liter-Speicher können dort gesteuert werden. Darüber hinaus kann man den Ladestand der Zusatzbatterie oder die Füllstände von Frisch- und Abwassertank mit Prozentangaben überprüfen.
Aufgrund mangelnder Sonne kamen wir mit der Zusatzbatterie etwa einen Tag zurecht. Danach musste man einen Ausflug machen oder einfach erneut auf Stellplatzsuche gehen. Die Wassertanks hätten bei etwas weniger verschwenderischem Verbrauch sicher eine Woche durchhalten können.
Stationen für die Entleerung und die erneute Befüllung haben aber auch in der Nebensaison geöffnet und wenn es mal ganz eng wird, hilft auch eine mitgenommene Gießkanne und eine Frischwasser-Quelle am Straßenrand. Deshalb haben wir uns nicht zurückgehalten.
So verbringen wir sieben sehr entspannte Tage um, am und im Grand California 600. Im Bett, auf der Sitzgruppe im vorderen Teil oder auf den Camping-Stühlen und am Camping-Tisch, die in der Heckklappe untergebracht sind. Uns ist warm, wir werden satt, schlafen erholsam und sind stets sauber.
Wir können uns aber trotz der Größe und des Zusatzbettes über dem Cockpit (hier würden wir eher die Stauraum-Option bevorzugen) nicht vorstellen, zu dritt oder gar zu viert hier drin Urlaub zu machen. Zumindest nicht im Frühjahr, Herbst oder Winter, wenn das Leben früh am Abend in den Innenraum verlegt werden muss.
Zusätzliche Kritik oder Verbesserungsvorschläge? VW sollte einen Handfeger im Auto integrieren. Außerdem sind die weißen Oberflächen extrem anfällig für Schmutz. Die Verarbeitung und das Design können sich allerdings mehr als sehen lassen und die Materialien an sich sind ebenfalls großartig gewählt.
Wenn es hier und da schon ein wenig an Ausbau-Raffinesse fehlt - vor allem im Hinblick auf die teils deutlich cleverere Konkurrenz -, so lässt sich mit diesen Punkten doch sehr viel Kritik wegbügeln.
Beim Preis kann man bügeln wie man will. Ein Schnäppchen wird der offiziell von einem VW-Tochterunternehmen umgebaute Crafter gegenüber seinen Mitbewerbern nicht werden. Knapp 62.000 Euro verlangt der Hersteller für den 600er mindestens. Und mit dem einen oder anderen Extra-Wunsch lässt sich diese Zahl recht schnell über die 80.000 Euro-Marke befördern.
Ein vergleichbarer Pössl 2Win auf Citroën-Basis mit 165 PS ist da schon für unter 50.000 Euro erhältlich. Und die Aufpreisliste ist hier deutlich weniger umfangreich. Was halt immer fehlen wird bei der Konkurrenz? Dieser Bulli-Charme, der irgendwie auch noch im Grand California spürbar ist.