Hat der Neuling wirkliche Besonderheiten und wo liegen sie?
Schockierende Vielfalt: Nicht weniger als zwei Dutzend Modelle umfasst unsere Übersicht über die kleinen SUVs auf dem deutschen Markt. Wie soll man sich als Kaufinteressent da noch orientieren? Soll man etwa zwei Dutzend Preislisten und Datenblätter wälzen? Und noch ist kein Ende des Booms zu erkennen. Skoda bringt nun mit dem Kamiq sein drittes SUV (nach dem großen Kodiaq und dem mittleren Karoq) auf den Markt. Am 21. September 2019 ist Marktstart. Wir haben das kleine SUV mit dem 115 PS starken 1.0 TSI und DSG getestet. Was hat es, das andere nicht haben?
Ein paar Kollegen stufen dem Kamiq als eigentlichen Nachfolger des Skoda Yeti ein. Der von Skoda zum Nachfolger erklärte Karoq sei ja deutlich größer, der Kamiq passt mit 4,23 Meter viel besser zum unvergessenen Kanten-Klassiker aus Tschechien. Von der Länge her passt der Kamiq auch gut zum VW T-Roc, basiert aber anders als dieser nicht auf dem MQB-A1, sondern auf dem kleineren MQB-A0. Das heißt, der Skoda tritt eine Klasse niedriger bei den Kleinwagen-SUVs an.
Für mich ist der Kamiq am ehesten die SUV-Version des Skoda Scala. Die Optik ist eine völlig andere als dort, vor allem in puncto Frontleuchten. Sie bestehen nun ähnlich wie bei den neueren Citroën-Modellen aus einer Tagfahrlicht-Einheit oben und den eigentlichen Scheinwerfern darunter. Aber die Maße sprechen für eine enge Verwandtschaft. So ist der Radstand fast identisch. Doch die tschechischen Ingenieure sind über meine These zunächst mal entsetzt. Der Kamiq sei ein völlig anderes Fahrzeug, sagt der Projektleiter für das Fahrzeug. Ja, es gebe schon Gemeinsamkeiten, das Interieur, die Motoren, das Infotainment, aber das Fahrwerk zum Beispiel wäre völlig neu abgestimmt, es liege vier Zentimeter höher als beim Scala, die Sitzposition wäre höher und so weiter. D'accord, aber so ist das nun mal bei SUVs. Also doch die SUV-Version des Scala.
Wo wir schon beim Fahrwerk des Kamiq sind: Es ist gut abgestimmt. Das gilt schon für das Serienfahrwerk. Daneben gibt es ein Sportfahrwerk (470 Euro) mit "Sport Chassis Control". Hier liegt das Auto einen Zentimeter tiefer, die Federn sind daher etwas straffer. Aber das Auto hat auch schaltbare Stoßdämpfer. Anders als beim DCC, das bei Autos wie dem VW Golf angeboten wird, handelt es sich hier nicht um ein adaptives Fahrwerk, das sich an Fahrstil und Straßenoberfläche anpasst, sondern um Stoßdämpfer mit zwei Kennlinien (Normal und Sport), zwischen denen man manuell umschalten kann. Im Normal-Modus würde das Auto etwa so abgestimmt sein wie der Serien-Kamiq, im Sportmodus dann halt etwas härter. In der Praxis muss ich sagen: Ich habe auf den guten Oberflächen der Autobahnen von Elsass und Vogesen keinen Unterschied gemerkt.
Die Sport-Version hat aber daneben noch andere Eigenheiten, vor allem Integralsitze (das heißt, Sitze mit integrierten, nicht verstellbaren Kopfstützen), die mehr Seitenhalt an den Oberschenkeln und am Rücken bieten, und das habe ich durchaus positiv verspürt.
Die Motoren im Kamiq sind alte Bekannte, zum Marktstart Ende September gibt es den 1.0 TSI mit 95 oder 115 PS und den 1.6 TDI mit 115 PS. Ein paar Wochen später startet der 1.5 TSI mit 150 PS und erst Ende 2019 oder Anfang 2020 folgt die Erdgasversion mit 90 PS.
Wir fuhren den 1.0 TSI mit 115 PS in Kombination mit dem Doppelkupplungsgetriebe. Der Motor ist wirklich wie gemacht für das Auto. Er ist sozusagen kamiq, was in der Inuit-Sprache "genau passend" bedeutet. Durchzugsstark (200 Nm), leise bis zur Maximaldrehzahl und zumindest für französisches Autobahntempo völlig ausreichend. Warum Skoda damit rechnet, dass die meisten Kunden den stärkeren 1.5 TSI bestellen werden, ist mir völlig schleierhaft. Ich kann mich noch gut an meine Testfahrt mit dem Seat Arona erinnern, wo ich die beiden Motoren hintereinander fuhr. Damals war ich von dem PS-stärkeren Vierzylinder regelrecht enttäuscht. Da würde ich eher noch die 95-PS-Basisversion des Dreizylinders in Betracht ziehen.
Das DSG-Getriebe ist für mich als bekennender Schalt-Fan nicht das Wahre, zumindest nicht im Automatikmodus. Wenn man zum Beispiel mit 80 km/h auf der Landstraße dahinfährt und dann plötzlich Vollgas gibt, kann man gemütlich bis Fünf Zählen, bevor sich bei der Geschwindigkeit wirklich etwas tut. Mein mitfahrender Kollege nickt, bestätigt die wenig spontane Kraftentfaltung. Das ist auch bei viel stärkeren Audi-Modellen so, sagt er und ergänzt: Auf der Autobahn zwischen Heilbronn und Stuttgart ist immer Stau. Da möchte er nicht immer schalten. Das verstehe ich. Übrigens kann man das DSG ja auch in einen manuellen Modus bringen und mit den Schaltwippen die Stufen wechseln ...
Der Normverbrauch des Kamiq 1.0 TSI mit 115 PS und DSG wird mit 5,5 bis 6,8 Liter je 100 Kilometer angegeben. Unser Testverbrauch laut Bordcomputer lag mit 6,9 Liter/100 Kilometer nicht viel höher.
Das Cockpit ist mit dem des Scala mehr oder weniger identisch. Die verwendeten Materialien bieten keine Ansatzpunkte für Kritik. Natürlich gibt es hier und dort Hartplastik, aber der Kamiq gehört ins B-Segment, also in die Sphäre der Kleinwagen und dafür ist das Gebotene nun wirklich mehr als ansprechend.
Vor dem Fahrer gibt es optional für moderate 470 Euro ein virtuelles Cockpit. Es bietet vier verschiedene Ansichten, von schlicht über klassisch bis hin zu modern. Brauchen tut man das nicht, aber schick ist es schon.
Skoda sagt selbst, dass der Kamiq gegenüber dem Scala (mit wie gesagt praktisch identischem Radstand) vor allem mehr Platz im Fond bietet. Der Fußraum im Fond ist tatsächlich außergewöhnlich groß: Ich kann lässig die Beine übereinander schlagen, wenn ich den Fahrersitz auf meine 1,75 Meter Körperlänge einstelle und mich dahintersetze. Über dem Kopf bleiben trotz des Panorama-Glasdachs (das normalerweise immer ein paar Zentimeter Kopffreiheit kostet) noch geschätzte fünf bis acht Zentimeter über meinem Scheitel. Mit anderen Worten: Selbst Leute mit langen Haxen dürften im Fond genug Platz haben.
Der Kofferraum ist dagegen sogar etwas kleiner als im Scala, was mich verwundert hat. Das ist wegen des längeren hinteren Überhangs des Scala so, erklärt mir Skoda-Sprecher Ulrich Bethscheider-Kieser. Nutzbar ist der Stauraum im Kamiq aber gut, sofern man den optionalen Einlegeboden (150 Euro) bestellt. Auch damit wird der Ladeboden beim Umlegen allerdings nicht ganz eben. Wer lange Gegenstände (bis zu 2,45 Meter) transportieren will, sollte die umklappbaren Beifahrersitzlehne ordern.
Zu den Besonderheiten des Kamiq gehört für mich das serienmäßige LED-Licht. Hier ist die PDF-Broschüre, die man auf der Firmen-Website herunterladen kann, seltsamerweise zu bescheiden. Schon der günstigste Kamiq setzt serienmäßig auf LED-Technik, nur die Blinker vorne und hinten sowie das weiße Rückfahrlicht arbeiten noch mit Birnchen-Technik, alles andere ist LED! Die Broschüre spricht von "Teil-LED-Licht", was so klingt, als würde das Fernlicht noch mit Birnchen arbeiten, ist aber nicht so. Auch komplettes LED-Licht kann man bestellen, dann werkeln die Blinker nicht nur mit LED-Technik, sondern es handelt sich um schicke Wischblinker, wie sie zuerst Audi auf den Markt brachte, und wie sie im Kleinwagensegment noch lange nicht Standard sind.
Außerdem gibt es auch beim Kamiq die unvermeidlichen Simply-clever-Details. Ehrlich gesagt, manche davon sind einfach nur billige Plastik-Gimmicks. Zum beispiel der Einfülltrichter für Betriebsflüssigkeiten unter der Motorhaube, der Eiskratzer unter de Tankklappe oder auch das Fach für den Regenschirm in den Türen. Aber es gibt auch wirklich Praktisches, wie den automatisch ausklappenden Türkantenschutz (auch billiges Plastik, aber sehr nützlich), die beheizbare Frontscheibe oder die Taschenlampe. Nebensachen? Nun, die Kaufkriterien sind unglaublich unterschiedlich. Wenn man aus zwei Dutzend unterschiedlichen kleinen SUVs auswählen kann, dann entscheiden eben oft auch solche Kleinigkeiten.
Umfangreich ist auch das Hightech-Angebot. So gibt es zum Beispiel einen Abstandstempomaten, immer noch eher eine Rarität im Segment. Er arbeitet gut mit dem Spurhalteassistenten zusammen, das heißt, man kann auf der Autobahn auch mal ein paar Sekunden autonom fahren, das Auto hält die Spur, das Tempo und den Abstand zum Vordermann.
Es gibt aber auch nervige Besonderheiten am Kamiq:
Der Basispreis für den Kamiq (knapp 18.000 Euro) bezieht sich auf den 95 PS starken Turbobenziner, den ich nicht gefahren bin, aber der mit seinem Drehmoment von 175 Newtonmeter (nur 13 Prozent weniger als bei der 115-PS-Version) doch interessant erscheint. Auch die Höchstgeschwindigkeit ist hier mit 181 km/h (statt 193 km/h beim gefahrenen Modell) noch recht hoch. Die gefahrene 115-PS-Benzin-Version ist 1.200 Euro teurer. Sie hat mir auch in diesem Auto wieder sehr gefallen, ich würde sogar sagen: Der Motor gehört zu den besten im Segment.
Auf das 1.800 Euro teure DSG würde ich gerne verzichten, genauso wie auf die Sport Chassis Control. Mir würde vielleicht sogar die Basisausstattung Active reichen, wenn das Cool & Sound-Paket dazu käme. Das Paket kostet 840 Euro und umfasst Klimaanlage und DAB-Radio. Warum die Klimaanlage alleine laut Konfigurator 1.110 Euro kostet (also mehr als Klimaanlage und DAB-Radio zusammen), konnte mir auch die versammelte Skoda-Kompetenz nicht erklären. Meine Vermutung: So kann man einen stattlichen Preisvorteil gegenüber den Einzelkomponenten (laut Skoda-Produktbroschüre 470 Euro) verkünden.
Kommen wir auf die Anfangsfrage zurück: Was hat der Kamiq, was andere nicht haben? Ich würde sagen, es sind nur Nuancen. ist so etwas wie ein Scala für alle, die gerne hoch sitzen. Der 115-PS-TSI ist ein exzellenter Motor für dieses und viele andere Autos des Kleinwagensegments aus dem VW-Konzern. Der Innenraum wird zugunsten langbeiniger Fondinsassen verteilt, was wohl nur wenige ausnutzen werden. Mehr Kofferraum (oder am allerbesten eine verschiebbare Rückbank) wäre besser. Die Preise sind attraktiv.
+ so lang wie ein VW T-Roc aber viel günstiger, LED-Licht serienmäßig, klevere Details, viel Platz im Fond
- weniger Kofferraum als im Scala, keine verschiebbare Rückbank