Verwendete Zellen haben einen gelartigen Polymerelektrolyten, sind also keine "richtigen" Festkörperzellen (ASSB)
Der "Geladen Batteriepodcast" aus dem Umfeld des Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist für uns zu einer wichtigen Wissensquelle geworden; wir empfehlen ihn gerne immer wieder. In der neuesten Folge nimmt sich der Youtube-Kanal ein aktuelles Thema vor: den EQS-Prototyp mit Festkörperbatterie, über den kürzlich Mercedes berichtete. Factorial-Fachmann Raimund Koerver erklärt die Technik gut; man lernt dabei viel zum Thema Festkörperbatterie.
Factorial begann 2013 als Hersteller von Kathoden-Aktivmaterialien, also dem Zeug, das oft mit Abkürzungen wie NMC, NCA, LFP usw. bezeichnet wird. Bald wurde aber klar, dass nicht die Kathode, sondern der Elektrolyt die limitierende Komponente ist. So schwenkte man auf Feststoffbatterien um. Derzeit gibt es zwei Factorial-Technologien, FEST und Solstice genannt.
Der Unterschied: Bei FEST ist der Elektrolyt nur "quasifest", es handelt sich um ein (vermutlich gelartiges) Polymer. Dagegen arbeitet Solstice mit einem völlig festen Elektrolyten. Beide Technologien kombinieren offenbar eine recht normale NMC811-Kathode (Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt-Oxid), wie sie auch bei konventionellen Akkus verwendet wird, mit einer Anode aus metallischem Lithium (Lithium-Metall-Kathode).
Letztere führt zu einer höheren Energiedichte als das normalerweise verwendete Graphit. Die Lithium-Metall-Anode lässt sich mit einem festen Elektrolyten kombinieren, weil weniger Grenzflächen-Reaktionen auftreten als bei Flüssigelektrolyten.
Die FEST-Zellen sind diejenigen, die Mercedes in seinem Versuchsträger verwendet. Zur Erinnerung: Dieser soll bereits 1.000 km mit einer Ladung geschafft haben. Das ist etwa ein Viertel mehr, als der reichweitenstärkste EQS mit dem Serienakku schafft (821 km). In der Pressemeldung von Mercedes fehlte die Information, das es die FEST-Technologie verwendet wird.
Was die Energiedichte der Factorial-Zellen angeht, so ist sie laut Koerver 30 bis 50 Prozent höher als bei konventionellen NMC-Zellen. Das bezieht sich auf die Zellebene. Da die Festkörperzellen deutlich sicherer sind (das heißt, weniger zum thermischen Durchgehen neigen), kann man jedoch auch auf Ebene des Batteriepakets Gewicht sparen. So hieß es bei Mercedes, der EQS-Prototyp habe nur eine Passivkühlung. man spart sich also Kühlmittelpumpe und -leitungen, den Wärmetauscher etc. Laut Koerver könnte man eine Kühlplatte verwenden, die passiv die Wärme abführt, oder sogar gar keine Kühlung.
Beim Aufladen soll eine Ladedauer von 20 min erreicht werden; ein Ladevorgang dauert also ähnlich lang wie bei heutigen 800-Volt-Autos à la Porsche Taycan oder Hyundai Ioniq 5. Wegen der höheren Energiedichte bedeutet das dennoch mehr Kilowattstunden pro Minute. Außerdem ist der Kühlbedarf beim Schnellladen geringer, denn eine Factorial-Zelle verkraftet bis zu 90 Grad, während aktuelle Zellen mit Flüssigelektrolyt nur etwa 55 Grad aushalten.
Factorial setzt auf Polymerelektrolyten und sulfidische Elektrolyten. Patrick Rosen vom Batteriepodcast zeigt eine Übersicht über die präferierten Festelektrolyten anderer Hersteller:
Wie zu sehen ist, kooperiert Mercedes auch mit ProLogium, einem Festkörperspezialisten aus Taiwan, der auf Oxid-Elektrolyten setzt. Zu den Vorteilen von Sulfid-Elektrolyten gehört die hohe Temperaturbeständigkeit, zu den Nachteilen die geringe Langzeitstabilität.
Zur Zahl der Lade-Entlade-Zyklen sagte Koerver, eine aktuelle Zelle habe nach 2.700 Zyklen noch eine Speicherkapazität von 85 Prozent gehabt. Wie groß diese Zelle war, sagte Koerver nicht. Allerdings garantiert zum Beispiel Mercedes beim EQS eine Restkapazität von 70 Prozent nach 250.000 km. Bei einer Praxis-Reichweite von vielleicht 500 km entspricht das gerade mal 500 Zyklen - ob mehr als 1.000 Zyklen praxisrelevant sind, sei deshalb dahingestellt.
Die Herausforderung bei der Langzeitstabilität der Solstice-Zelle ist offenbar der Schutz des Elektrolyten durch Beschichtungen von Kathode und Anode. Zur Zusammensetzung des SEI (Solid-Electrolyte Interface) wollte Koerver allerdings nichts sagen.
Die Polymer-basierte FEST-Zelle wird von Factorial als Brückentechnologie angesehen, da diese Zelle leichter in den existierenden Zellwerken hergestellt werden kann. Erste Prototypen mit der Technik werden bereits getestet, wie die Beispiele Mercedes und Nio zeigen. MG will sogar schon 2025 ein Serienauto bringen.
Wie weit ist die Festkörperbatterie von Factorial also? Die Zelle hat derzeit den Status eines B-Musters, ist also schon weiter als die Solstice-Technik, die es bisher nur als A-Muster gibt. Aber die Phasen C und D liegen noch in der Zukunft. Jede Phase dauert laut Kloever ungefähr ein Jahr bis anderthalb Jahre; demnach wäre die Phase D in zwei bis drei Jahren beendet, also 2027 oder 2028. Das bedeutet, dass Mercedes-Entwicklungschef Markus Schäfer wohl etwas zu optimistisch war, als er 2021 sagte, die Technik wäre in fünf Jahren (also schon 2026) reif für eine Kleinserie.
Unter dem Strich
Heutige Elektroauto-Batterien haben flüssige Elektrolyten; hier geht der Trend einerseits zu günstigeren Materialien wie LFP, andererseits zu Zellen mit höherer Energiedichte, oft mit erhöhtem Silicium-Anteil in der Anode.
Noch weiter weg ist die Zukunftstechnologie der Festköperbatterie. Hier dürfte zuerst eine Batterie mit gelartigem Elektrolyten serienreif sein, also ein Quasi-Festkörperakku (Semi-Solid State Battery). Erste Prototypen werden von Mercedes, Stellantis und Nio getestet, MG will sogar schon 2025 ein erstes Modell auf den Markt bringen. Nun ja, warten wir es ab. Angekündigt wird im Batteriesektor vieles; was dann wirklich kommt und wann, ist eine andere Frage.