Nichts in dieser Klasse fährt besser als der 850er. Aber der große Bimmer hat ein Identitätsproblem
Puh, endlich hat Motor1.com das neue BMW-Flaggschiff in die Finger bekommen. Und zwar nicht zweieinhalb Stunden lang auf einer sonnigen Strandpromenade irgendwo in Portugal, sondern für zwei erkenntnisreiche Wochen im wenig glorreichen deutschen Februar. Hier kann auch ein 530 PS starkes V8-Luxuscoupé nicht mogeln. Und mehr Luxuscoupé - oder sollen wir besser sagen Gran Turismo - geht bei BMW derzeit nicht. 4,85 Meter Länge, knapp zwei Tonnen Gewicht, ein absolutes Monstrum von einem 4,4-Liter-Biturbo unter der Haube, opulente Ledersessel, ein Haufen Bildschirme, (optionales) Carbon wohin man schaut, Allradantrieb und eine Beschleunigung, die einem das Gesicht vom Haupt zieht.
Und dabei ist das noch nicht mal das Ende der Fahnenstange. Irgendwann im Sommer folgt der M8. Er wird gut über 600 PS haben, noch schneller, sportlicher, lauter, fahrdynamischer sein. Nach einem Tête-á-Tête mit dem 850er stellt sich nur ernsthaft die Frage, was man mit noch mehr von alledem eigentlich anfangen soll. Außer der M8 schafft es, die größte Schwäche des "normalen" 8ers auszumerzen und dieser Baureihe das Spezielle, das Besondere, das ultimative "Haben-wollen-Gefühl" einzuhauchen.
Das soll heißen, dass mich BMW bei diesem Auto wirklich ein bisschen ratlos zurücklässt. Ich habe mich während unserer gemeinsamen Zeit deutlich mehr in den 8er verliebt, als ich das eigentlich wollte. Wie er fährt, wie er sich bedienen lässt, wie er absolute technische Perfektion ausstrahlt. So unglaublich mühelos und fahrdynamisch dennoch so fesselnd (und angsteinflößend schnell). Vermutlich finde ich es deswegen so ärgerlich, wie BMW den Wagen positioniert hat. Oder wie es ihn eben nicht positioniert hat.
Sehen Sie: Der neue 8er soll das ultimative Münchner Flaggschiff sein. Im Prinzip muss er in puncto Ausstrahlung, Stil und Begehrlichkeit sogar die beiden rollenden Kühlergrills schlagen, hinter denen man mit etwas Glück den Facelift-7er und den neuen X7 erkennt. BMW hat sich selbst dazu entschieden, den 8er eine Klasse höher zu positionieren als den 6er. Machen Sie den 850er voll und Sie kaufen ein 150.000-Euro-Auto. Die Erwartungshaltung ist also immens. Gegenüber dem deutlich günstigeren 6er muss das hier ein gewaltiger Sprung sein. Ein Tempel des Luxus, wo Manufaktur-Qualität aus jeder Teppichfaser quillt. Aber so ist es eben nicht.
Steigen Sie in den 8er ein und trotz Alcantara-Dachhimmel, Ambientebeleuchtung oder einem etwas albernen Kristallglas-Schaltknauf werden Sie sich nicht viel anders fühlen als in einem sehr gut ausgestatteten 3er. Die Verarbeitungsqualität ist tadellos, aber das Interieur-Design ist fürchterlich nüchtern und simpel. Dinge wie Plastik-Drehregler an Lüftung und Lenkrad wären bei einem S-Klasse Coupé oder einem Bentley Continental (mit denen der 8er sich jetzt nun mal messen muss) absolut undenkbar.
Das ist absolut richtig. Trotzdem glaube ich, dass Menschen die weit über 100.000 Euro für ein an sich unpraktisches Auto ausgeben, einen gewissen Glamour-Faktor erwarten und hier steht sich der 8er einfach selbst auf den Füßen. Ob es sich beim Außendesign ähnlich verhält, sollen andere beurteilen. Das Prestige eines (zugegebenermaßen deutlich teureren) Aston Martin DB11 hat er vermutlich nicht, die meisten Leute gaffen ihm trotzdem hinterher und das zu 95 Prozent mit anerkennendem Staunen.
Und damit will ich meine Kritik-Tirade auch beenden, denn in wirklich jedem anderen Bereich ist dieser neue große BMW-Zweitürer eine ziemliche Offenbarung.
Ich würde sagen, ja. Natürlich sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass man hier in erster Linie zwei Tonnen an höchst komfortabler Kilometerfressmaschine bewegt. Einen GT im besten Sinn. Der 8er ist kein Elfer (schon jetzt die mathematische Erkenntnis des Jahres). Aber unter seinesgleichen hat er sicher das größte fahrdynamische Talent.
"Fahrwerksbalance und Auslegung des Allradantriebs entsprechen in etwa dem Idealbild für ein großes sportliches Coupé."
Die im Normalmodus superleichte Lenkung wirkt beim Einlenken auch dank der unterstützenden Hinterradlenkung fast schon zu direkt und agil. Auf diese Weise können die Entwickler das Auto natürlich deutlich kleiner und leichter wirken lassen als es wirklich ist. Ein wenig Nervosität muss man deswegen in Kauf nehmen, mich persönlich hat es nicht besonders gestört. Das Wunderbare am 850er ist aber, dass er sich überhaupt nicht auf diesen "billigen Trick" verlässt. Er suggeriert kein spitzes, aufregendes Handling, er hat es wirklich. Je schneller und - hüstel - ambitionierter man ihn fährt, desto besser und charismatischer wird er gefühlt. Wir in der Motor1.com-Redaktion hatten jedenfalls den ein oder anderen Aha-Moment. Im positiven Sinne, versteht sich. "Man, der 8er fährt vielleicht gut, nicht nur für so ein Schiff", habe ich nicht nur einmal gehört.
Denn die Fahrwerksbalance und die Auslegung des Allradantriebs entsprechen - abgesehen von der mittlerweile BMW-typischen gummig-gefühllosen Lenkung - in etwa dem Idealbild für ein großes sportliches Coupé. Das Gripniveau des xDrive-Systems ist bis in den Grenzbereich hinein absolut atemberaubend. Auch auf sehr nassem und kaltem Asphalt ist es absolut verblüffend, wie viel Traktion der 8er aufbaut. Das Schöne ist, dass der Wagen bei aller Neutralität nicht ansatzweise plump wirkt. In forscher angegangenen Kurven drückt das Heck dezent aber spürbar mit. Im Sport-Plus-Modus geht das etwas selbstverständlicher als in der Standard-Einstellung. Ein wenig mehr Gas und das Auto rutscht leicht über die Hinterachse. Auch beim forschen Anbremsen vor der Biegung zuckt der 8er spitzbübisch mit dem Hintern. Das hier fühlt sich deutlich heckgetrieben an, wenn man es denn herausfordert. Durch all seine Geborgenheit hindurch, zaubert einem der 850er immer wieder ein Grinsen ins Gesicht. Dieses Auto wird tatsächlich auch Menschen überzeugen, die richtig gerne richtig sportlich Auto fahren. Mehr als das einem AMG S-Klasse Coupé oder einem Bentley Conti GT gelingen dürfte.
Naja, für die hat BMW dieses Auto ja in erster Linie entwickelt. Dass es trotz seiner Leibesfülle so fidel und lustvoll durch Kurven prescht, ist ein gern genommener Bonus. Sprich: Der M850i bewirft seine Insassen im ganz normalen Fahrbetrieb förmlich mit Ruhe, Entspannung und Angenehmheit. Federungskomfort und Geräuschniveau sind im Comfort-Modus absolut vortrefflich, die 8-Gang-Automatik ein zarter, aber scharfsinniger Feingeist. Dazu kommen hervorragende Sitze mit einer absolut grandiosen Sitzposition und eine Infotainment-Bedienung, die trotz aller mittlerweile vorhandenen Komplexität kinderleicht und extrem logisch von der Hand geht. Dass man bei BMW noch die Wahl hat, ob man touchen, iDrive-Rädchen drücken, Gesten fuchteln oder sprechen möchte, ist ein großer Gewinn. Ein Sonderlob verdient in diesem Zusammenhang der neue Sprach-Lakai "Hey BMW", der im Test wirklich überzeugen konnte und so Sprachbedienung zu einem sehr hilfreichen Feature macht. Nicht wirklich in dieses hervorragende Bild passen das fast schon freche Platzangebot hinten sowie BMWs neues digitales Instrumentendisplay, das schlecht ablesbar ist und keine nennenswerten Features bietet, die man mit analogen Instrumenten nicht auch hinbekommen hätte.
Der Achtzylinder tut unterdessen das, was gute Achtzylinder eben so tun. Ihnen im Hintergrund sanftmütig aber bestimmt den Rücken freihalten. Und wenn Sie ihn brauchen, ihn fordern, dann zieht er mit angespanntem Bizeps und Gebrüll in die Schlacht. Der Bizeps ist in diesem Fall wirklich furchteinflößend groß, der 850er holt ganz ganz kurz Luft, dann schiebt er alles über den Haufen. Anders kann man es wirklich nicht sagen. Es gibt sicher charismatischere V8-Motoren, aber diese Wucht in jeder Lage ist absolut beeindruckend. Außerdem scheint BMW auch beim angesprochenen Kampfgebrüll ein wenig nachgebessert zu haben. Das Auto drängt sich akustisch nie in den Vordergrund, klingt aber angenehm achtzylindrig.
Ein ziemlicher Idealzustand also, der sich einen fast wundern lässt, wozu man all die anderen Modi überhaupt brauchen soll. Gerade "Sport Plus" macht die Erhabenheit des 850ers ein Stück weit kaputt. Nicht wegen des etwas straffer werdenden Fahrwerks, der schwergängigeren Lenkung oder des aggressiveren Antriebs, sondern vor allem wegen des nervtötenden Klangbilds. Bei wirklich jedem Gaslupfer prrappappapt es "Fehlzündungen" aus dem Auspuff, dass man vor Scham am liebsten im Boden versinken würde. Zumindest, wenn man älter als 21 ist.
Nichtsdestotrotz gebührt BMW für die Gesamtabstimmung dieses GT ein sehr großes Lob.
Das ist eine gute Frage. Ich bin zwiegespalten wie selten. Dieses große, teure Sportcoupé ist so nüchtern, so zweckmäßig, so fokussiert darauf, ein großartiger BMW zu sein, dass es völlig vergessen hat, ein großartiges Luxusauto zu sein. Ich glaube, um ein solches Preisschild zu rechtfertigen, muss ein Auto dieser Klasse auch eine gewisse Flamboyanz, eine exaltierte Ausstrahlung besitzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand in dieses Auto setzt und sofort hin und weg ist. Dabei hätte der neue 8er das unbedingt verdient, denn nichts und niemand in seinem Segment kann ihm fahrdynamisch das Wasser reichen und der Alltag mit ihm, mit seiner Bedienung, mit seiner technischen Überlegenheit, mit seinen perfekt abgestimmten Media- und Assistenzsystemen ist wie auf einer Wolke. Einer sehr schnellen Wolke, wohlgemerkt.
Dieser 8er ist ein ganz und gar fantastisches Auto, vermutlich das beste in seinem Segment. Die Frage ist nur, ob dieses Segment ein Auto wie den 8er annimmt. Seine nüchtern-perfektionistische Ader in allen Ehren, aber etwas mehr Eitelkeit und Egozentrik würden ihm sicher nicht schaden.
+ bärenstarker V8; kaum zu schlagender Mix aus Komfort und Dynamik; grandioses Infotainment und perfekte Bedienung
- zu nüchterne, anonyme Ausstrahlung für ein Auto dieser Klasse; Platzangebot im Fond; fades Interieur