5,0-Sekunden-Sprint und schicke Optik: Sind die 63.990 Euro gerechtfertigt?
Puh, ein Mittelklasse-SUV mit gerade mal 417 km Reichweite? Ehrlich gesagt, wir erwarteten nicht allzu viel vom neuen Nissan Ariya Nismo. Aber Vorurteile sind dazu da, dass man sie überprüft. Auch beim Hyundai Ioniq 5N fuhr ich mit viel Skepsis zum Testtermin und kam begeistert zurück. Vielleicht würde sich ja auch der Sport-Nissan überraschend gut fahren? Also, auf nach Nizza.
Nismo steht bekanntlich für Nissan Motorsport. Von meiner Vergangenheit als normaler Motorjournalist, der viele Verbrenner getestet hat, wusste ich, dass das Plus an Leistung meist gering ausfiel - oft handelte es sich primär um Optik-Varianten. Beim Nissan Ariya ist das anders: Hier bietet die Nismo-Variante mit 320 kW fast 100 Kilowatt mehr als der normale Allradler mit 225 kW. So verkürzt sich die Sprintzeit immerhin von 5,7 auf 5,0 Sekunden.
Antrieb | Interieur/Bedienung | Navi, Ladeplanung und Aufladen | Fazit
Ein Sportmonster ist das Auto mit dem 5-Sekunden-Sprint noch nicht, wie Nissan bereitwillig eingesteht. An den 3,7-Sekunden-Sprint des Tesla Model Y Performance zum Beispiel kommt der Nismo nicht heran. Auch das Beschleunigungsgefühl im Ariya ist alles andere als überwältigend. Schon beim (inzwischen vom Nismo ersetzten) 290-kW-Allradler, den ich vor einem Jahr testete, hatte ich diesen Eindruck. Vermutlich wurde der Antrieb auf den in Japan so wichtigen smooth ride (sanfte Fahrt) ausgelegt.
Was den Allradantrieb angeht, so besteht er aus zwei 160-kW-Maschinen mit jeweils 300 Nm Drehmoment. Wie bei Nissan üblich, handelt es sich um stromerregte Synchronmaschinen. Das heißt, das Magnetfeld im Rotor wird durch Elektromagnete erzeugt. Schaltet man diese stromlos, kann man den Motor quasi abkoppeln (während ein stromlos geschalteter Permanentmagnet-Motor bremst). So schaltet der normale Ariya-Allradler bei Teillast die hintere Maschine ab, um Strom zu sparen. Die Nismo-Variante dagegen hat einen permanenten Allradantrieb: Es sind stets beide Motoren aktiv.
Wenn man auf der Geraden das Gas durchdrückt, arbeiten beide Motoren mit jeweils 160 kW und 300 Nm. In der Kurve verteilt der Nismo die Kraft mehr nach hinten, um das Untersteuern zu verringern. In diesem Fall steht wohl auch nicht die volle Power zur Verfügung, sondern die vordere Maschine wird einfach weniger hart arbeiten. Doch mehr als eine Drehmomentverteilung von 40 zu 60 ist ohnehin nicht möglich. Mein wirklich sportlich fahrender Kollege spürte auf den kurvigen Bergstrecken denn auch nicht viel von der Umverteilung.
Am meisten Umverteilung bekommt man im Nismo-Modus, der über eine Taste in der Mittelkonsole aktiviert wird. Dann ertönt auch ein lastabhängiges Motorgeräusch, das mit seinem säuselnden Ton allerdings wenig beeindruckend ist.
In Sachen Stromverbrauch ist ein permanenter Allradantrieb natürlich ungünstig. Was beim Stromverbrauch wohl auch nicht hilft, sind die großen 20-Zöller und die Reifen vom Typ Michelin Pilot Sport EV mit Effizienzlabel B. (BMW schwenkt beim i5 und iX gerade von A auf A+ um, und auch da gibt es leistungsstarke Modelle.) So ist es kein Wunder, dass der Nismo gleich 4 kWh mehr verbraucht als der 225-kW-Allradler: 24,5 kWh sind es nach WLTP-Norm.
Wir verbrauchten laut Bordcomputer auf einem Streckenabschnitt 23,5 kWh/100 km, bei sanfterer Fahrt auf einem anderen Abschnitt 21,0 kWh. Also weniger als nach Norm, obwohl wir wirklich nicht auf sparsame Fahrweise achteten und auch längere Autobahnetappen mit Tempo 130 inkludiert waren. Aber auf die Verbräuche bei den typischen, kurzen Fahrten auf Events gebe ich generell wenig; mit anderen Autos vergleichbar sind nur WLTP-Werte.
Mit dem Abschnitt zum Antrieb sind wir mit der Tür ins Haus gefallen, das Thema steht bei einem Sportmodell einfach im Vordergrund. Aber gehen wir noch mal einen Schritt zurück. Unser Testauto, ein schwarzweißroter Ariya Nismo, sieht gut aus. Zu den Besonderheiten gehört ein Spoiler am Heck und einer vorne, rote Linien am unteren Karosserierand und jede Menge Nismo-Schriftzüge.
Die Türen werden mit traditionellen Bügelgriffen geöffnet. Ebenfalls eher konservativ ist der Systemstart: Es reicht nicht, bei gedrückter Bremse auf "D" zu wechseln, der Startknopf muss gedrückt werden. Beim Nismo-Modell prangt er rot am Armaturenbrett. Nach Betätigung erscheint eine Nismo-spezifische Begrüßungs-Animation im Instrumentendisplay. Der Dachhimmel ist schwarz, das Lenkrad hat eine rote Mittenmarkierung.
Gut gefallen uns nach wie vor die raffinierten Tasten am Armaturenbrett und in der Mittelkonsole. Schöner als das Holz (oder Holzimitat?) fanden wir allerdings die mit blauem Leder bespannte Leiste im zuletzt gefahrenen 290-kW-Modell.
Lenkradwippen für die Einstellung der Rekuperation fehlen. Die hätten gerade einem Sportmodell gut gestanden. Die stärkste Energie-Rückgewinnung bekommt man mit der ePedal-Taste in der Mittelkonsole. Echtes One-Pedal-Driving bis zum Stopp ist aber auch damit nicht möglich. Etwas weniger Rekuperation bekommt man im B-Modus, der per Getriebewähler aktiviert wird.
Der Abstandstempomat funktioniert gut; angeschaltet wird er mit einem Druck auf das blaue Symbol rechts am Lenkrad und dann durch Nach-unten-Drücken der Set-Taste. Über die tasten am Lenkrad kann man auch einen Modus wählen, in dem die Tempolimits automatisch übernommen werden, was ebenfalls funktionierte. Der Spurhalteassistent arbeitet auch zufriedenstellend. Um dem System mitzuteilen, dass man am Leben ist, muss man allerdings am Steuer ruckeln, Berühren reicht nicht, da der Ariya keine kapazitive Technik hat.
Die Sitze bieten eigentlich guten Seitenhalt, zumindest an den Schenkeln, weniger am Rücken. Doch wenn mein extrem sportlich fahrender Kollege richtig loslegte, schwangen meine Knie links bis zur Mittelkonsole und rechts bis fast zur Tür: Seitenhalt ist halt relativ.
Schon auf den ersten paar hundert Metern fiel mir die extrem leichtgängige Lenkung auf - zuerst etwas befremdlich, aber man gewöhnt sich dran. Die Rundumsicht ist für ein Coupé-SUV ausreichend: Natürlich hat ein solches Auto ein kleineres Heckfenster als ein normales SUV, und auch die Kopfstützen im Fond engen die Sicht ein. Deswegen kann man den Innenspiegel beim Nismo serienmäßig mit einem Griff auf eine Kamerasicht umstellen.
Was uns diesmal auffiel: Die Taste für den Warnblinker ist schwer zu finden. Sie ist horizontal angeordnet und verbirgt sich links neben dem Lautstärkeregler.
Im Fond ist für den 1,76 Meter großen Autor genug Platz, sowohl vor den Knien als auch über dem Kopf. Auch der Kofferraum ist durch den komplett ebenen Ladeboden gut nutzbar. Mit 415 bis 1.280 Liter ist das Volumen aber bescheiden - der ebenfalls coupéhafte, aber etwas kleinere VW ID.5 bietet 549 bis 1.561 Liter.
Unser Navi stieg einmal komplett aus, die zu fahrende Route verschwand. Manchen Kollegen ging es ähnlich, besonders stabil scheint das System also nicht zu laufen. Auch die Sprachbedienung konnte zumindest bei einem kurzen Versuch nicht überzeugen. Als ich "Navigate to Munich" sagte, wollte das System zuerst Straße und Hausnummer wissen. Dann stellte sich heraus, dass ich zuerst das Land von "Frankreich" auf "Deutschland" umstellen musste, wonach "Munich" nicht mehr verstanden wurde.
Die Laderoutenplanung funktioniert ebenfalls nicht wie sie soll. Nach den oben geschilderten Schwierigkeiten präsentierte das System schließlich eine Route. Nissan-Experte Remy Navarro half mir und aktivierte die Option zum Hinzufügen von Ladestopps. Doch nur ein einziger Ladestopp wurde eingeplant. Mehr ist im Moment nicht möglich, erklärte mir Remy, man arbeite an einem Update. Im Moment muss man bis zu diesem Stopp fahren, dort laden, und erst dann erfährt man den nächsten Stopp.
Wie ich schon vor einem Jahr erfuhr, hat der Ariya keine automatische Batterie-Vorkonditionierung. Das heißt, auch wenn man einen Schnelllader als Navi-Ziel eingibt, wird die Batterie nicht vorgeheizt. Seltsamerweise gibt es aber eine manuelle Vorkonditionierung - bei den meisten Herstellern ist es umgekehrt.
Da die Batterieheizung mit dem Abschalten des Systems (sinnvollerweise) deaktiviert wird, sollte ich sie erst vor dem Losfahren aktivieren, empfahl mir Remy. Was mir aber dann nicht gelang, weil der Menüpunkt nicht mehr zu finden war. Remy war nicht greifbar, aber die Service-Leute von Nissan sagten mir, das sei kein Problem, weil die Batterie auf der Autobahn sowieso warm werden würde.
Wurde sie nicht. Das zeigte sich bei unserem Ladeversuch bei Ionity. Zur Authentifizierung war eine Ladekarte nötig, denn der Ariya unterstützt nach wie vor kein Plug&Charge. Leider kamen wir mit einer noch recht vollen Batterie mit einem Ladestand (SoC) von 32 Prozent an, und wie gesagt mit nicht vorkonditioniertem Akku. Nach dem Start des Ladevorgangs lag die Ladeleistung bei 108 kW und fiel dann recht kontinuierlich ab:
Bild von: InsideEVsTrotz der schlechten Voraussetzungen ist die Ladekurve recht ordentlich, die Ladeleistung bleibt bis zu hohen SoC-Werten akzeptabel. Die von Nissan angegebene Maximal-Ladeleistung von 130 kW wurde aus den genannten Gründen nicht erreicht. Dass das mit warmem Akku sehr wohl möglich ist, zeigt das Beispiel von holländischen Kollegen, die den Akku zwar auch nicht vorkonditioniert hatten, aber das Auto nach eigener Aussage "wirklich hart" gefahren sind. Außerdem war der Ladestand mit 6% zum Laden ideal niedrig. Hier wurden die 130 kW erreicht und bis 42% SoC annähernd gehalten - dann wollten die Kollegen weiter:
Bild von: InsideEVsDer Nissan Ariya Nismo ist bereits seit Oktober 2024 bestellbar, die Auslieferung startet jetzt Ende Januar. Die Preise beginnen bei 63.990 Euro. Serienmäßig an Bord sind unter anderem ein Head-up-Display, ein Bose-Soundsystem, Sportsitze mit Lederimitat, das Nismo-Bodykit, eine beheizbare Frontscheibe und eine sensorgesteuerte Heckklappe.
Zu den Alternativen gehören der Kia EV6 GT (mit 3,5-Sekunden-Sprint, 450 km Reichweite und 800-Volt-System für etwa 70.000 Euro), das Tesla Model Y Performance (mit 3,7-Sekunden-Sprint und 514 km Reichweite ab 60.000 Euro), der Hyundai Ioniq 5 4WD (5,3 Sekunden, 546 km Reichweite und 800-Volt-System, etwa 59.000 Euro) und der VW ID.5 GTX (5,4 Sekunden, 534 km Reichweite, rund 55.000 Euro).
Mein Vorurteil zum Nissan Ariya Nismo hat sich bewahrheitet. Der Wagen ist mit etwa 64.000 Euro ziemlich teuer. Dafür kriegt man aber weder ein besonders sportliches noch ein besonders langstreckentaugliches Auto.
Das Beschleunigungsgefühl ist eher verhalten als überwältigend. Mein sportlich fahrender Kollege, der das Kurvenverhalten wohl besser als ich beurteilen kann, war ebenfalls nicht begeistert. Für lange Reisen genügen 417 km WLTP-Reichweite nicht. Schuld ist nicht die Batterie (87 kWh netto sind viel), sondern der hohe Verbrauch. Und wirklich schnell lädt der Ariya auch nicht.
Auch der Navi-Ausstieg und die ungenügenden Ladeplanung stehen auf der Malus-Seite. Der gut nutzbare Kofferraum, die guten Platzverhältnisse im Interieur, die schicken Tasten und all die Nismo-Besonderheiten machen das aus meiner Sicht nicht wett. Der Hauptgrund, den Nismo zu kaufen, dürfte die schicke Optik sein.