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Tesla Model S Plaid im Test: Ein "One Trick Pony"

Testfahrer Kyle Conner kritisiert die Blinker, das Handling und die Bremsen, aber die Beschleunigung setzt neue Maßstäbe

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Ein Test des Model S Plaid? Das wird wohl darauf hinaus laufen, dass man einen Fahrer sieht, der Vollgas gibt, vehement in den Sitz geschleudert wird (oder so tut als ob) und dabei Mund und Augen aufreißt. Haben Sie auf sowas Lust? Wir nicht.

Gut, dass unser US-Kollege Kyle Conner aus anderem Holz geschnitzt ist, er ist mehr der komfortorientierte, gemütliche Fahrer. Aber er kann auch anders, wie er in diesem Video auf einer Bergstrecke zeigt. Und natürlich hat er bei seinem Test den "Launch" nicht ausgelassen. Wie könnte er, schließlich beschleunigt das Ding in 2,1 Sekunden auf Tempo 100 - schneller als alle anderen Serienautos. Aber der Sprint nimmt nur einen kleinen Teil des fast einstündigen Films ein. Unten fassen wir die interessantesten Einsichten daraus zusammen. 

Das Model S Plaid hat sich Kyle von einem befreundeten Influencer geliehen, um überhaupt mal so ein Ding in die Finger zu kriegen. Man muss die passende Persönlichkeit haben, um sich eine solche von Braun über Violett nach Blau changierende Folierung von einem Tuner machen zu lassen, aber Kyle ist froh, das Auto endlich mal zu fahren.

Kurzer Rundgang, wichtigste Daten

Bei einem kurzen Rundgang ist (für Tesla-Newbies) zu sehen, wie die Türgriffe ausfahren und wie man die Rückleuchte dazu bringt, die Ladeöffnung frei zu geben, mit einem US-typischen Tesla-Anschluss. Der Akku lässt sich mit bis zu 250 kW aufladen, wie aus unserem Schnelllade-Test hervorging. 

Die Batterie hat eine Speicherkapazität von knapp 100 kWh, wie wir von einem kürzlich veröffentlichten Video wissen, die Reichweite liegt laut Tesla bei 637 km nach WLTP-Norm - etwas weniger als bei der Dual Motor Long Range Version (652 km). Die getestete Plaid-Version hat drei E-Motoren mit zusammen 1.020 PS oder umgerechnet 750 kW und kostet knapp 128.000 Euro.

Viel Platz: Kofferraum, Frunk und Fond

Der Kofferraum hat (wie der Mercedes EQS) eine große Klappe, nicht nur einen Kofferraumdeckel wie das Model 3. Sie öffnet sich elektrisch auf Knopfdruck, und der Öffnungsmechanismus ist wesentlich leiser als bei dem Model S P100D, das Kyle früher mal fuhr. Während der Tester das große Stauabteil unter dem Kofferraumboden und den Frunk zeigt, lobt er das Platzangebot im Model S. Später wird er im Fond Platz nehmen, wo klar wird, dass auch hier die Knie wegen der unten liegenden Batterie ein wenig nach oben stehen (wie bei unseren Tests des BMW i4 und in geringerem Maße auch beim Kia EV6).

Generell war das Model S "das erste begehrenswerte Elektroauto" auf dem Markt. Als das Model S 2012 startete, hatte es die größte Reichweite und die kürzeste Ladezeit. In beiden Disziplinen musste Tesla die Krone inzwischen abgeben: Der Porsche Taycan lädt mit bis zu 270 kW und der Lucid Air soll fast 800 km Reichweite haben.

Smart-Shift-Funktion und Steuerhorn 

Die Sitze findet Kyle hervorragend, er bemängelt aber, dass sie keine Massagefunktion haben (wie zum Beispiel beim EQS). Einen Automatik-Wahlhebel gibt es nicht, weil das Auto dank Smart-Shift-Funktion die wahrscheinlichste Fahrrichtung selbst herausfinden soll. Beim Losfahren klappt das, aber später beim Rückwärts-Einparken in einen Supermarktparkplatz nicht: Das Auto hat nach dem Stopp keine Ahnung, wohin es fahren soll, und Kyle muss nachhelfen - mit einer Wischbewegung nach unten am Touchscreen legt er den Rückwärtsgang ein.

Das Rangieren mit dem Steuerhorn ist gewöhnungsbedürftig, bei niedrigem Tempo funktioniert es noch ganz gut, aber bei schnellen Manövern greift man auch mal daneben. Noch seltsamer ist aber das Fehlen des Blinkerhebels und dass man auf den rechten Knopf am Steuerhorn drücken muss, um den Blinker links zu setzen.

Anders als bei einem konventionellen Blinkerhebel geht das kaum, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Kyles Urteil etwas später im Video: Es gibt keinen Vorteil, aber deutliche Nachteile. Bei seinem alten Model S konnte er das Display auch gut sehen, daher betrachtet er den fehlenden oberen Teil des Steuers nicht als Plus.   

Ansonsten schwärmt Kyle von der guten Abstimmung bei niedrigen Geschwindigkeiten: Das Auto fühlt sich beim wie jeder Tesla sehr "smooth" an, wenn man sich langsam vorwärts oder rückwärts tastet - viel sanfter und leiser als bei allen anderen Marken. 

Fahrwerk und Geräuschniveau

Auf dem Weg in die Berge entdeckt Kyle zweierlei: Das Fahrwerk ist im Comfort-Modus sehr komfortabel. Im Sport-Modus des Fahrwerks und bei niedriger Fahrwerkshöhe wird das Fahrgefühl sofort härter. 

Bei 50 mph (rund 80 km/h) ist es lauter im Interieur als erwartet - die Abrollgeräusche sind geringer als beim Model 3, aber für eine über 100.000 Euro teure Limousine zu laut, und definitiv nicht so leise wie im EQS.

Sprint-Test, Brems-Test und Rekuperation 

Kyle aktiviert den Drag Strip Mode, und das Auto beginnt sich auf einen schnellen Start vorzubereiten. Dafür wird eine Zeit von 2 Minuten angezeigt. Das Auto ist nicht voll vorgewärmt, als Kyle aus dem Stand Vollgas gibt bis auf 60 mph. Natürlich drehen die Räder durch, und das passiert sogar noch bei 50 mph (80 km/h). 

Schon bei seinem Test des Mercedes EQS 580 4Matic sagte Kyle, das schwächere Modell 450+ wäre passender. Und bei seinem Plaid-Video meint er anfangs, er würde sich wohl eher das Model S Long Range Dual Motor kaufen, das (mit einer Tempo-100-Sprint von 3,2 Sekunden) immer noch wahnsinnig schnell ist. Er glaubt, viele Tesla-Fahrer kaufen sich das Topmodell, nicht weil sie die Beschleunigung haben wollen, sondern einfach weil es "das bessere Auto" ist.

Was die Rekuperation angeht, so kann man bei Tesla sogar die maximale Energierückgewinnung auslösen, indem man vom Gaspedal geht. Wenn man bremst, werden immer ausschließlich die hydraulischen Radbremsen aktiviert. Tesla mischt also das mechanische Bremsen (per Bremsscheiben) nicht mit dem elektromagnetischen Verzögern (per E-Motoren). Es gibt gibt bei Tesla kein Blending, das bei so manch anderem Elektroauto ein synthetisches Bremsgefühl ergibt. Der Nachteil ist, dass das Auto nicht so viel rekuperieren kann wie zum Beispiel ein Taycan oder EQS, die auch beim Betätigen der Bremse noch so viel rekuperieren wie möglich.

Bei einem Bremstest fest, dass die ABS-Kalibrierung wie bei allen Tesla-Fahrzeugen ein wenig seltsam ist. Und: Trotz der unglaublichen Antriebsleistung hat Tesla kein richtiges Hochleistungs-Bremssystem eingebaut.

Auf der kurvigen Bergstrecke bremst die Traktionskontrolle das Auto aus. Das ESP flackert immer wieder auf, und man kann sie nicht deaktivieren. Aber sobald die Räder geradeaus zeigen, ist die Beschleunigung offenbar wirklich überwältigend - man kann es an der vorbeirauschenden Landschaft gut erkennen. Das Auto liebt das Beschleunigen geradeaus, aber es liebt die Kurven nicht, so Kyle.

Fazit: Ein one trick pony

Dieses Auto tut, was seine Käufer wahrscheinlich wollen: Man kann seine Freunde zu einer Mitfahrt einladen und sie zum Staunen bringen, indem man auf der Geraden Vollgas gibt. In dieser Disziplin ist das Model S Plaid Spitze. Aber nicht in den Kurven. Für einen driving enthusiast (einen Fan des schnellen, sportlichen Fahrens) dagegen ist das Auto absolut nicht geeignet, so Kyle.

It's an one trick pony ist der passende englische Spruch, der sich schwer übersetzen, nur umschreiben lässt: Das Model S Plaid kann nur eine Sache gut, und das ist die enorme Beschleunigung geradeaus. Zu den Hauptnachteilen zählt Kyle das nicht sehr gute Handling in der Kurve, die recht hohe Lautstärke innen und die ungenügenden Bremsen. Aber insgesamt ist der Wagen doch begehrenswert, so Kyle, und man bekommt viel Auto für sein Geld.

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