Der Hype ist größtenteils berechtigt. Nicht der vollkommenste Hot Hatch, aber der, den man will
Es ist schon lange her, dass ich so einen Hype um ein neues Auto erlebt habe. Das Internet ist ja bereits seit seiner Ankündigung völlig On Fire. Jeder Journalist, Blogger, YouTuber, Instagramer kriegt in seinem Fahrbericht vor lauter Begeisterung die Hose kaum noch zu. Das Schöne ist aber: Der Funke scheint auch auf die Menschen übergesprungen zu sein, die diesen wunderbaren Sonderling am Ende tatsächlich kaufen.
Rund um die Nordschleife finden Sie ihn gefühlt bereits in jedem zweiten Haushalt und sowas wie in der Kommentarbox unter dem YouTube-Test des geschätzten Kollegen Hohmeyer habe ich bisher auch noch nicht erlebt - allein hier bestimmt 10 bis 15 Beiträge von Usern, die den Toyota GR Yaris bereits besitzen oder ihn bald geliefert bekommen. Deren Tenor: Zwischen ehrfurchtsvoller Vorfreude und ekstatischer Begeisterung.
Wie all das zustande kommt? Nun, im Grunde genommen, weil Toyota ein Auto gebaut hat, das sich so seit über 20 Jahren keiner mehr zu bauen getraut hat. Der GR Yaris ist auf den ersten Blick ein knapp unter vier Meter langer Hot Hatch. Nur dass er viel unkonventioneller und aufregender ist als alles, was es in dieser Klasse jemals gab. Mit einem herkömmlichen Yaris hat das nichts mehr gemein. Zumindest fast nichts.
Sie kennen die Story inzwischen bestimmt in- und auswendig: Wer auf höchstem Niveau Rallye fahren will, braucht ein Fahrzeug, dass auf einem existierenden Straßenauto basiert. In vielen Punkten darf das Rallyeauto abweichen, in manchen wiederum nicht.
Früher war das mit der Homologation nicht so wild, weil in der Regel ein paar hundert Autos ausgereicht haben, um die Regularien zu erfüllen. Das Publikum für eine recht wilde, streng limitierte Sonderedition fand man leicht.
Die aktuellen Regeln schreiben jedoch 25.000 Straßenautos vor. Genau, das ist ziemlich absurd. Und es bewirkte bisher vor allem eins: Die Hersteller schickten ihre stinknormalen Brot-und-Butter-Kleinwagen ins Homologationsrennen und hofften das Beste. Dazu erhielten wir ein paar eher belanglose "Rallye-Sondermodelle" vom Schlage eines Citroen C4 "By Loeb" oder VW Polo R WRC. Warum ins wirtschaftliche Risiko gehen, wenn man sich auch so durchmogeln kann?
Ein Satz, der an den Entscheidern bei Toyota offenbar völlig vorbei gegangen ist. Denn hier wurde nun ein Rallyeauto von Grund auf neu konstruiert. Und uns paar Gaskranke da draußen, die so einen absurden Hobel gerne mal wieder auf der Straße fahren würden, hat man dabei tatsächlich nicht vergessen. Na gut, auch der GR Yaris ist natürlich ein Kompromiss, aber er ist der beste Kompromiss seit sehr sehr langer Zeit.
Die Dachlinie ist hier ein ganz gutes Beispiel. Im Standard-Yaris ist sie hoch, damit Menschen hinten halbwegs würdevoll sitzen können. In einem Rallyeauto stört "hoch", weil das den Luftstrom zum Dachflügel blockt. Tommi Mäkinen, Toyotas WRC Boss, wollte eigentlich ein noch flacheres Dach, aber Toyota bestand darauf, dass die Rücksitze bleiben. Es ist trotzdem ziemlich niedrig.
Ähnlich ist es mit den hinteren Türen. Laut WRC-Regeln darf man keine Aero an ihnen anbringen. Folglich ist der GR Yaris ein Dreitürer. Das Dach ist aus Carbon und spart so 3,5 Kilo. Türen, Motorhaube und Heckklappe sind aus Aluminium, was weitere 24 Kilo beseitigt.
Man hat vom Standard-Yaris noch nicht einmal das Chassis übernommen. Na gut, die vordere Hälfte schon irgendwie, aber hinten wurde sich bei Corolla und CH-R bedient. Das Auto verfügt über 4.175 Schweißpunkte, 259 mehr als beim normalen Yaris. Zudem wird der GR von 35,4 Metern "strukturellem Klebstoff" zusammengehalten. Das Ding ist stabil wie ein Banktresor.
Die 2,56 Meter Radstand werden vom Yaris übernommen, dazu die Leuchten, die Außenspiegel und die Finne auf dem Dach. Das wars dann aber auch schon. Der GR ist 55 mm länger, 60 mm breiter und 45 mm flacher. Am Heck sind es sogar 100 mm.
Unter der Haube befindet sich der stärkste Serien-Dreizylinder der Welt. Der 1,6er leistet 261 PS und 360 Nm. Sein relativ gewaltiger Turbo ist kugelgelagert. Die Maschine selbst ist auf einer Seite hydraulisch gelagert, um Vibrationen und ungewollte Bewegung zu minimieren. Sowas findest du für gewöhnlich auch nur an Sportwagen, die mindestens dreimal so teuer sind.
"Die Marketing-Abteilung muss heute leider draußen bleiben. Das hier ist echt, oldschool, Balsam für die Seele."
Einzige Getriebe-Option ist eine manuelle Sechsgang-Box. Das Allradsystem soll das leichteste auf dem Markt sein. Leicht heißt hier jedoch nicht simpel. Es gibt ein zentrales Verteilergetriebe aus Aluminium, das im Normal-Modus 60 Prozent der Kraft an die Vorderräder überträgt. Im Sport-Modus lautet das Verhältnis 30:70, in "Track" sind es 50:50. Unsinn oder Grip auf Knopfdruck, Sie entscheiden. An der Hinterachse befindet sich zudem ein elektronisch kontrolliertes Kupplungs-Paket, das die Kraft zwischen den Hinterrädern verteilt.
Alles in allem bringt es der GR Yaris auf 1.280 Kilo. Er macht die 0-100 km/h in 5,5 Sekunden und packt maximal 230 Sachen. Klein, (relativ) leicht und schnell. Geht doch.
Optional verkauft Ihnen Toyota für 4.490 Euro ein High-Performance-Paket. Es besteht aus geschmiedeten 18-Zoll-BBS-Felgen mit Michelin Pilot Sport 4S-Pneus, einem sportlicher abgestimmten Fahrwerk, roten Bremssätteln und Torsen-Sperrdifferenzialen an beiden Achsen.
Ganz ehrlich, wann gab es das letzte Mal ein vergleichsweise erschwingliches Auto mit derart viel Attitüde? Ein wirklich ernst gemeintes Rallye-Homologationsmodell? Irgendwann in den 90ern halt, als die Imprezas und Evos noch Schneid hatten. Das hier ist eine Gelegenheit, die so schnell nicht wiederkommen dürfte. Und das beste ist: Toyota hat mit dem kleinen Kasten einen absoluten Volltreffer gelandet.
Ziemlich genau so, wie man sich einen kurzen, aggressiven, bis an die Zähne bewaffneten Kraftwürfel mit No-Bullshit-Einstellung vorstellt. Die Marketing-Abteilung muss heute leider draußen bleiben. Das hier ist echt, oldschool, Balsam für die Seele.
Und es gibt derzeit nichts vergleichbares. Der Ford Fiesta ST hat ein ähnlich durchgeknalltes Wesen, aber der GR Yaris hat die weitaus professionelleren Anlagen. Auf der anderen Seite wirkt er aber nicht so geschliffen und ernsthaft wie ein Honda Civic Type R. Er ist schon eher der wilde Hund, weniger die kompromiss- und humorlose Track-Waffe.
Als ich ihn das erste Mal aus unserer Redaktionsgarage herausrollte, hatte es den ganzen Tag heftig geschneit und die Straßen lagen unter einem großen weißen Teppich. Es dauerte keine 10 Meter und wir bewegten uns hauptsächlich seitwärts. In wunderbarer Harmonie. Mit grandioser Kontrolle.
"Adaptive Dämpfer dürfte hier niemand vermissen. Sagen wir es doch, wie es ist: Wenn die Basics stimmen, sind unzählige Setup-Möglichkeiten unnötig."
Will sagen: Du brauchst bei diesem Auto keine große Eingewöhnungszeit. Einsteigen, los fetzen, Freude haben. Der GR Yaris pflegt einen sehr hemdsärmeligen Umgang. (Fast) alles fühlt sich sofort richtig an. Das kleine, wunderbar unabgeflachte (sprich: herrlich runde) Lenkrad, die Gewichtung der Pedale, die Schaltung - alles ist straff, etwas schwergängig und unmissverständlich.
Auch die Sitze sind an sich hervorragend, vor allem erfreulich großzügig geschnitten für ein derart komprimiertes Gefährt. Die Sitzposition allerdings ist ein Graus. Zumindest, wenn man größer ist als - sagen wir mal - 1,70 Meter. Man stößt nicht am Lenkrad an, dessen Verstellmöglichkeiten sind groß genug, aber man sitzt halt einfach sehr sehr hoch.
Bei vielen dürfte es da mit Helm echt knifflig werden. Und der Beifahrersitz ist - aus welchem Grund auch immer - noch höher montiert. Immerhin scheint der ein oder andere Tuner das Problem bereits erkannt zu haben und arbeitet an niedrigeren Sitzkonsolen. Ein Upgrade, das ich mir in jedem Fall gönnen würde.
Das Fahrwerk selbst kommuniziert auf einer eher intensiven Ebene. Der GR Yaris ist ein kurzes, breites, sehr steifes Auto, da geht es eben schonmal etwas herzhafter zur Sache. Es wird auch schnell recht laut. Das liegt zum einen an den Reifengeräuschen und zum anderen an der Kombi aus super kurzer Übersetzung und einer bemerkenswert grummelig-wütenden Klangkulisse.
Lustigerweise ist der Yaris von außen klanglich absolut nicht existent. Dafür wütet der künstlich generierte Dreizylinder-Zorn innen umso heftiger. Keine Sorge, der Fake-Sound ist echt gut, einer der besten, die ich bisher gehört habe, um ehrlich zu sein. Aber er ist halt immer anwesend. Ausschalten is nicht.
Sehr positiv ist, dass die extrem steife Hülle keinerlei Knarzen oder Rütteln im Auto zulässt. Das wirkt schon alles sehr solide und handfest. Zudem ist die Steifigkeit der Schlüssel für die hervorragende Arbeit des Fahrwerks. Ja, das Auto federt zuweilen kernig, aber unangenehm ist es nie. Adaptive Dämpfer dürfte hier niemand vermissen. Sagen wir es doch, wie es ist: Wenn die Basics stimmen, sind unzählige Setup-Möglichkeiten unnötig.
Ja ja, ich weiß, jeder lechzt nach dem Sport-Modus, in dem 70 Prozent der Kraft nach hinten gehen. Und wer auf trockener Straße genügend Platz und Kühnheit zur Verfügung hat, wird mit dem GR Yaris sicher auch ein paar schöne schwarze Streifen in den Teer brennen können. Aber machen Sie sich bitte bewusst, dass dieser Wagen von seinem Wesen her alles andere als eine Drift-Maschine ist.
Hier geht es in erster Linie um Grip und meine Herren hat der Yaris viel davon. Selbst auf feuchtem Geläuf, selbst mit Winterreifen. Wenn man richtig fix sein will, wählt man im besten Fall den Track-Modus mit seiner 50:50-Verteilung.
Du kannst dich hier komplett auf die Vorderachse verlassen. Vor allem wenn das Performance-Pack an Bord ist, geht es in der Kurve super früh ans Gas, das Torsen-Diff nimmt die Arbeit auf und zieht dich mit nullkommanull Untersteuern aus der Kurve. Weiter drauf, drauf, drauf, die Vorderachse versetzt keinen Millimeter, eher gibt's noch einen kleinen Heck-Schlenker, kurz gegengelenkt und kaboom, ab geht die Post in Richtung nächste Biegung. Die Balance ist herausragend, das Erlebnis absolut großartig.
Salopp ausgedrückt findet es der GR Yaris richtig gut, wenn du ihm ordentlich auf die Fresse gibst. Gefühlt wird er immer besser, je härter du ihn rannimmst. Und er will auch, dass du dafür ein bisschen ackerst. Die Lenkung ist ziemlich schwergängig, aber wahnsinnig gut. Die Schaltung erfordert auch immer ein wenig Nachdruck, könnte ein bisschen kürzer klacken, aber das ist wohl Teil des ganzen, herrlich mechanischen Alte-Schule-Vibes, den dieses Auto verströmt. Man fühlt einfach diese Verbindung. So, wie es heutzutage nicht mehr oft der Fall ist.
Auch der ist ein absoluter Halodri. Im allerbesten Sinne. Ich gebe zu, ich war ein wenig skeptisch aufgrund des Mangels an Hubraum und äh ... Zylindern, aber dieser kleine Dreipötter mit seinen 1,6 Litern hat einen verdammt heftigen linken Haken.
Man merkt, dass hier ein vergleichsweise großer Lader für die knackige Literleistung verantwortlich sein muss, denn unter 3.000 Touren ist nicht all zu viel los. Darüber geht der Punk aber so richtig ab und gerade zwischen 4.000 und etwa 6.500 Touren wirkt die Maschine besonders umtriebig. Natürlich hilft auch die angesprochene Übersetzung, dass sich der GR ziemlich aggressiv, verspielt und letztlich einfach schnell anfühlt.
Am wichtigsten ist aber wohl, dass es einen Heidenspaß macht, den Motor - und da passt er ideal zum Rest des Autos - ein ums andere Mal so richtig auszuwringen. Er dreht willig, er plärrt und pfeift schön dabei ... und er säuft wie ein Loch. Unter 10,5 Liter haben wir es nie geschafft. Im Schnitt waren es eher so 11,5 bis 12.
Der größte Malus ist - wie gesagt -, dass man viel zu hoch sitzt. Die Schulterfreiheit ist dagegen, auch wenn zwei ausgewachsene Herrschaften nebeneinander Platz nehmen kein großes Ding. Ich würde nicht unbedingt hinten sitzen wollen, auch nicht für 5 Minuten. Und der Kofferraum ist mit seinen 174 Litern natürlich auch nicht unbedingt was für den nächsten Rundumschlag im Möbelhaus. Ich gehe mal stark davon aus, den meisten Interessenten könnte es kaum egaler sein.
Vieles im Innenraum ist einfach Standard Yaris, dazu gehört auch das eher mittelmäßige Infotainment (zum Glück mit Apple CarPlay/Android Auto). Aber Dinge wie das Modus-Rädchen vor dem Schalthebel, die Alu-Pedale, das Lenkrad, die Sitze oder die "developed for the FIA World Rally Championship"-Plakette erzeugen dann doch ein schön spezielles Flair.
Zwei ziemlich nerdige Fun Facts hätte ich noch in petto: Zum einen hat man den Schalthebel ganz "Rallye-mäßig" 5 Zentimeter angehoben, damit er näher am Lenkrad ist (merken tut man davon eher nichts). Außerdem dauert es laut Toyota zehnmal länger einen GR zu bauen als einen normalen Yaris. Er entsteht auch nicht auf dem normalen Band, sondern in der GR-eigenen Anlage innerhalb des Motomachi-Werks.
Dass Toyota dieses Auto überhaupt entworfen hat, ist ja die eigentliche Sensation. Dass man es dann auch noch so irre gut hinbekommen hat, macht die ganze Geschichte fast schon zu einem modernen Märchen. Fahrzeuge wie der GR Yaris passieren heutzutage eigentlich nicht mehr, der Aufwand rentiert sich einfach nicht.
Umso dankbarer muss man den Japanern sein, dass sie nochmal einen rausgehauen haben wie früher. Ein Rallyeauto mit Kennzeichen. Klein, leicht, mit quickfideler Dynamik und kernigem Motor. Es gibt wenig, was auf einer kurvigen Straße mehr Freude bereitet.
Er wirkt nicht so geschliffen und abgerundet wie ein Civic Type R, verleitet mit seiner ungehobelten Art aber wohl mehr dazu, die Sau rauszulassen. Da ist er dem Fiesta ST recht ähnlich, nur dass er in alle Richtungen mehr Tiefe zu bieten hat als der kleine Ford. Für einen Kleinwagen mag der GR Yaris auf den ersten Blick ein wenig teuer wirken. Für die gebotene Performance und das Erlebnis, das er kreiert, ist er aber eigentlich ein richtiges Schnäppchen.