Hervorragendes Fahrverhalten, aber Straucheln beim Verbrauch. Und dann wäre da noch der Elefant im Raum
Sie werden es sicher gelesen haben, es war ja fast nicht möglich, es nicht zu lesen. Mercedes hat im Oktober 2024 in China exakt 0 (null) EQE Limousinen verkauft. Da bekommt der Marken-Claim "Das Beste oder Nichts" gleich eine ganz andere, relativ tragische Bedeutung. Die Meldung zum absoluten Nullpunkt fiel genau mit der Anlieferung unseres Testwagens zusammen. Und besser könnte der Test-Aufhänger ja gar nicht sein. Ist der EQE wirklich so mies?
Vermutlich nicht. Die heftige Watschn aus dem Land des Lächelns hat sicher vielfältige Gründe, wobei man schon sagen muss, dass die Monate zuvor dort auch ziemlich peinliche (oft einstellige) Zahlen produzierten, während etwa der BMW i5 zumindest Verkaufszahlen im hohen dreistelligen Bereich zustande brachte.
Und wie ist die Lage auf dem Heimatmarkt? Auf den ersten Blick deutlich besser. 7.850 EQE wurden in diesem Jahr bis Ende November unter die Deutschen gebracht. Allerdings schlüsselt der Stern die EQE-Baureihe hier nicht auf. Man kann davon ausgehen, dass ein Großteil der Verkäufe dem EQE SUV zuzurechnen ist. Ist die EQE Limousine also zurecht ein Ladenhüter? Wir suchten und fanden Antworten.
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Der Mercedes EQE kam Mitte 2022 auf den Markt. Die technische Basis (EVA2) ist die gleiche wie beim Mercedes EQS, und auch die Optik ist fast identisch. Der EQE ist jedoch 27 Zentimeter kürzer und hat neun Zentimeter weniger Radstand, weswegen die große 118-kWh-Batterie aus dem EQS nicht hineinpasst. Produziert wird der EQE in Bremen (sowie in Peking für den chinesischen Markt).
Bei der Vorstellung im September 2021 wurden lediglich zwei Motorisierungen präsentiert (inzwischen gibt es gleich sieben; eine umfassende EQE-Übersicht hat der Kollege Stefan Leichsenring für Sie zusammengestellt). Eine davon war der EQE 350+ und genau den stellte der Daimler uns auch vor die Redaktion. Im sündteuren Manufaktur Patagonienrot Metallic mit Nappaleder Schwarz.
Das "+" beim 350+ bezieht sich auf die Batterie. Sie ist mit 96 kWh die größte im kompletten EQE-Portfolio, hat 5,5 kWh mehr Kapazität als alle anderen Akkus. Dazu kommt ein Heckmotor mit 215 kW. Mercedes brüstet sich obendrein mit einer sehr asketischen Einstellung zum Stromverbrauch (16 bis 19,5 kWh kombiniert) und verspricht deshalb eine Monster-Reichweite von bis zu 693 Kilometer. Wir werden gleich noch sehen, dass diese Zahlen - zumindest bei winterlichen Temperaturen - doch recht weit von der Realität entfernt sind.
Geladen wird im EQE mit maximal 170 kW. So soll der Akku in 32 Minuten von 10 auf 80 Prozent gebracht werden können. Das entspricht einer Ladegeschwindigkeit von 2,1 kWh oder 15 Kilometern pro Minute. Gerade im Vergleich zum neuen Audi A6 e-tron, der mit bis zu 270 kW Strom saugt, ist das inzwischen ein entscheidender Nachteil. Sehr positiv dagegen: Mercedes gewährt auf die Batterie eine Garantie von 10 Jahren oder 250.000 Kilometer. Deutlich mehr als die meisten anderen Hersteller.
Da Mercedes inzwischen keine Lust mehr auf feste Preise hat (erstmals in meiner nun gut 16-jährigen Laufbahn erhielt ich zum Testwagen eine Preisliste ohne Preisangaben), lohnt sich immer wieder mal ein Blick in den Konfigurator. Der nennt uns Anfang Januar 2025 für den EQE 350+ einen Basispreis von 69.270 Euro. Der Länge der Ausstattungsliste nach zu urteilen, lässt sich dieser Betrag sicher spielend sechsstellig machen.
Zu den Konkurrenten des Mercedes EQE zählen der BMW i5, der neue Audi A6 e-tron, das Tesla Model S, der Nio ET7, der Genesis Electrified G80 und der VW ID.7. Ein Nachteil, zumindest auf dem deutschen Markt: Anders als die heimische Konkurrenz muss der EQE ohne Kombi-Version auskommen.
Wenn Sie keine Lust auf flammende Apelle haben, dann überspringen Sie dieses Kapitel einfach, aber das Thema brennt mir auf der Seele und einigen von Ihnen sicher auch: Ich habe keine Zweifel, dass die überschaubaren Verkaufszahlen der EQE Limousine auch mit dem aktuell herausfordernden Marktumfeld für E-Autos zu tun haben.
Und dass es in China unter anderem daran liegt, dass ein Großteil der Chinesen inzwischen seinen automobilen Patriotismus entdeckt hat. Aber eins ist sonnenklar: Mercedes würde weit mehr Einheiten dieses Autos (und seines großen Bruders EQS) absetzen, wenn das Teil nicht so dermaßen unvorteilhaft aussehen würde.
Wir haben ja schon viel dazu gehört: motorisierte Computermaus, E-Seife, rollender Klostein - alles davon trifft irgendwie zu. Nun sind sie beim Stern weiß Gott nicht alleine, was die völlige Lostheit der aktuellen Designer-Generation angeht (Grüße nach Wolfsburg an dieser Stelle), aber beim EQE ist es schon besonders dramatisch.
Dass die optisch belanglose Glitschigkeit mit einem hervorragenden cW-Wert von 0,22 einhergeht (beim EQS sind es sogar 0,20), ist löblich, aber letztlich geschenkt. Weil andere Hersteller es ebenso schaffen, fahrende Gleitcremes zu entwickeln, ohne jedoch, dass diese auch wie eine Tube davon aussehen.
Der EQE verströmt einfach nicht die optische Qualität, die ich von einem Mercedes-Benz der oberen Mittelklasse erwarte. Und das ausgerechnet von dem Hersteller, der dieses Segment eigentlich besser kann als alle anderen. Seht zu, dass die nächste EQE Limousine einfach komplett anders aussieht als diese, dann wollen vermutlich auch viel mehr Menschen eine haben.
Und damit - sollten Sie als EQ-Fan nicht schon grün vor Zorn das Device Ihrer Wahl gegen die nächstbeste Wand gefeuert haben - zu den rationaleren Themen bezüglich des EQE-Exterieurs.
Die Außenmaße entsprechen in etwa denen der Hauptkonkurrenten von Audi und Volkswagen. Der BMW i5 ist zehn Zentimeter länger. Dank des gewaltigen Radstands von 3,12 Meter und der wuchtigen Breite von 1,96 Meter herrscht innen auf allen Plätzen ein feudales Raumangebot. Mit der Anhängelast von 750 Kilo kann der EQE nicht ansatzweise mit dem i5 (1.500 bis 2.000 Kilo) und dem A6 e-tron (2.100 Kilo) mithalten.
Mercedes hat den Wow-Effekt seiner Cockpits in den letzten Jahren auf die Spitze getrieben. Und auch beim EQE gibt es genügend Gimmicks, mit denen Sie bei Nachbarn/Freunden/Verwandten den blanken Neid entfachen können. Dazu zählt natürlich der monumentale Hyperscreen mit all seinen ultrahochauflösenden Karten, den Spielen, dem Streaming und den diversen (richtig guten) Konfigurationsmöglichkeiten fürs Instrumentendisplay. Und dazu zählt definitiv auch das Gestühl.
Ich erinnere mich an redaktionsübergreifendes Kopfschütteln beim Erstkontakt mit der Rückbank des EQS, da diese wahrlich wenig S-Klasse-Feeling versprühte. Womöglich liegt es an der geringeren Erwartungshaltung beim EQE oder in Stuttgart hat man einfach sehr flott reagiert, aber der Fond dieses Wagens schafft ein Ambiente, das Seelen in Windeseile zum Baumeln bringt. Das vortrefflich gesteppte Leder ist weich und bequem, die Kopfstützenkissen (plus die zusätzlichen Rückbankkissen) sind eine Wolke und das Raumangebot lädt zum Ausstrecken sämtlicher Gliedmaßen ein.
Vorne verhält es sich ganz ähnlich. Exakt so wie in diesem Testwagen wünscht man sich einen Stuhl in einem großen Mercedes-Benz. Kuschelig bequem (diese Kopfstützenkissen - ich kann mich nur wiederholen), langstreckentauglich und edel gearbeitet.
Was die Gesamtqualität des Interieurs bezüglich Detailverarbeitung und verwendeter Materialien angeht, bin ich etwas zwiegespaltener. Womöglich sind wir uns einig, dass die Verarbeitungsqualität in der deutschen Autoindustrie um 2010 herum gepeakt hat. Seitdem wird immer mehr versucht, mit viel Bling und großen Bildschirmen von teils zweifelhaftem Materialeinsatz abzulenken. Beim EQE ist es auch ein wenig so.
Die Auswahl des ein oder anderen Plastikteils wirkt schon arg sorglos (Kopfstützenhalterungen, Lenkstockhebel, Taschen an den Sitzrückseiten). Insgesamt geht der Qualitätseindruck noch in Ordnung, außergewöhnlich hochwertig oder luxuriös sind die meisten Teile, die man so anfasst allerdings nicht. Immerhin ein Trost: Im Vergleich zum Innenraum des neuen A6 e-tron ist der des EQE ein wahrer Luxustempel.
Trotz der Unmenge an Funktionen lässt sich der EQE über den großen Infotainment-Screen dank der verschiedenen, sehr logisch aufgebauten Menü-Screens mühelos und intuitiv bedienen. Hier hilft tatsächlich mal die schiere Größe des Bildschirms, da sie einen Home-Screen ermöglicht, in dem alle relevanten Funktionen sehr sinnvoll in verschiedenen Kacheln gebündelt sind. Außerdem ist alles groß genug dargestellt, dass man sich nicht vertippt.
Einzig mit den kleinen Daumen-Wischtasten am Lenkrad werde ich in diesem Leben einfach nicht mehr warm werden. Außerdem wäre ein Rädchen für die Lautstärke-Regelung angenehm. Dass der EQE Dinge wie eine sehr natürliche Sprachbedienung oder eine sehr flotte Routenplanung mit Ladestopps blind beherrscht, müsste wohl nicht mehr eigens erwähnt werden. Jetzt hab' ich's Ihnen doch nochmal aufs Brot geschmiert.
Der Kofferraum mit seinen 430 bis 895 Liter ist recht tief und macht einen vernünftigen Eindruck, zumal auch unter dem Ladeboden noch etwas Platz für kleinere Ladung besteht.
Unabhängig vom Fahrmodus (der Unterschied zwischen Comfort und Sport ist nicht wirklich spürbar) taugt der EQE mit der 215-kW-Maschine nicht wirklich dazu, einem den Angstschweiß auf die Stirn zu beschleunigen. Bei knapp 2,4 Tonnen Gewicht richten eben auch fast 300 elektrische PS nicht so viel an, wie man vielleicht denken würde. Zumal auch der typische, ansatzlose E-Schub vollends ausbleibt.
Rechnen Sie beim Durchdrücken des Gaspedals nicht mit dem üblichen Magenschwinger, eher mit einer sehr gleichmäßigen Leistungsentfaltung. Allerdings gibt das Auto bei höheren Geschwindigkeiten nicht klein bei, beschleunigt souverän auch jenseits der 160 und schafft laut Tacho 215 km/h.
In anderen Testberichten war immer wieder zu lesen, dass der EQE im Alltag mit vergleichsweise guten Verbrauchswerten von um die 20 kWh fahrbar ist. Ein Wert, der sich in unserem Test nicht ansatzweise darstellen ließ. Bei Temperaturen von um die drei Grad war der Durchschnittsverbrauch mit 26,5 kWh viel zu hoch. Bei Autobahnfahrten mit normalen Geschwindigkeiten von 120 bis 140 km/h waren es über 30 kWh. Damit sind dann auch Traum-Reichweiten von 550, 600 oder mehr Kilometern hinfällig. 350 bis 400 Kilometer erscheinen bei winterlichen Temperaturen realistisch.
Weitgehend nach Plan verliefen dafür die Ladeleistungen. Die vorgegebenen 170 kW konnten in der Regel erreicht werden. Etwas verwirrend verliefen zwei von diversen Ladestopps. Einmal erreichte unser EQE bei vier Grad Außentemperatur und 35 Minuten Batterie-Vorkonditionierung 135 kW, ein anderes Mal bei zwei Grad Außentemperatur ohne Vorkonditionierung 162 kW.
Mit einem Wort: herausragend. Was der EQE auf die Straße bringt, ist Mercedes aus dem Lehrbuch. Oder vielleicht sogar mehr als das. Auffällig sind die wahrhaft exzellente Federung und das extreme Komfort-Niveau. Das beinhaltet ganz ausdrücklich auch das Thema NHV (Noise, Harshness, Vibration).
Da waren wir bei den eigentlichen Vorzeige-Modellen C-Klasse und E-Klasse zuletzt ein wenig enttäuscht, weil es beim Einfederverhalten gerne mal ein bisschen ruckte und zu viele Geräusche aus den Radkästen ans Benz-verwöhnte Ohr drangen. Hier dagegen, wo man ja aus Mangel an Motorgeräuschen gar keinen Puffer hat, hört man keinen Mucks. Abroll- und Geräuschkomfort des Fahrwerks sind Benchmark-hochwertig.
Noch positiver zu bewerten ist das Ganze, weil bei aller Umschmeichelung nie auch nur ein leiser Verdacht besteht, dass man hier etwa ein wenig bauchig, luschig oder mit zu weichen Knien unterwegs ist. Der EQE liegt satt, tief unten, sehr kontrolliert und hat beim Rumpf-Training offenbar Überstunden geschoben.
Wer kindisch genug ist, kann das Auto mit deaktiviertem ESP (ganz aus ist es nie) und ambitioniertem Gaseinsatz auch zu ganz annehmbaren Heckschwenks überreden. Obendrein hat man auch das Thema Lenkung schön gelöst. Sie zeigt sich sehr präzise, hat obendrein genügend Fleisch (sprich: ein gut gewichtetes Handmoment) für vernünftige Rückmeldung von der Straße. Das passt fahrdynamisch schon alles sehr sehr gut zusammen.
Ein Wort noch zur Rekuperation: Sie ist in drei Stufen einstellbar. Die mittlere Stufe erscheint im Alltag am sinnvollsten. Störend ist hier allerdings, dass sie bereits bei ganz niedrigen Geschwindigkeiten, etwa beim Rangieren, voll mit im Spiel ist. Beim Einparken ist das ziemlich gewöhnungsbedürftig, aber natürlich kann man sie über die Lenkradpaddles dann auch ausschalten.
Die Optik lasse ich bei der Gesamtbewertung jetzt mal außen vor. Ich bin mir sicher, sie ist ein Grund für die schleppenden Verkäufe des Autos, aber Sie können ja nun wirklich selbst entscheiden, ob Sie den EQE anziehend finden oder nicht.
Kritisch betrachtet werden müssen in Teilen die Materialqualität im Interieur sowie die inzwischen etwas maue Landegeschwindigkeit. Die große Enttäuschung - zumindest in unserem Winter-Test - ist aber sicher der immens hohe Stromverbrauch des Autos.
Die ganz ganz große Stärke des EQE ist definitiv sein sensationell komfortables, luxuriöses, entspannendes und dennoch erfreulich dynamisches Fahrverhalten. Ein Reiseauto par Excellence und hinsichtlich des gesamten Fahrerlebnisses (dazu zählen auch Geräusch-, Bedien- und Sitzkomfort) sicher der beste Mercedes, den ich seit langer Zeit gefahren habe. Alles in allem für mich eine 7,5 von 10.