Mit der Tropfenform zeigten die Rüsselsheimer ein mutiges Design. Leider biss oft der Rost zu
Mitte der 1980er- Jahre waren Autos zumeist eckig. Denken Sie an VW Golf 2 oder Ford Escort MK4, die Hauptkonkurrenten des hier gefahrenen Opel Kadett E. Und jetzt schauen sie sich noch einmal den Opel Kadett D an. Nicht umsonst titelte die Auto-Zeitschrift "mot" im Januar 1984 zu ersten Bildern des Nachfolgers: "Opel wird mutig".
Der optische Sprung von Opel Kadett D auf das Nachfolgemodell E ist damals gewagt. Doch das Ziel scheint klar: Konsequenter Leichtbau und eine strömungsgünstige Karosserieform. Schon 1979 beginnt die Entwicklung des letzten Kadett, unmittelbar nach Marktstart des ersten Opel-Fronttrieblers. Ein spätes 1989er Vorfacelift-Modell sind wir jetzt zum Jubiläum gefahren.
Ganze 1,5 Milliarden D-Mark lässt Opel für die Entwicklung springen. Für das Design ist Gert Hildebrand verantwortlich. Neben dem Opel Kadett E ist seine Handschrift auch an VW Golf 3, VW Sharan Facelift und der Neuinterpretation des Mini zu sehen.
"Das Auto soll nicht veralten. Das sind Maßstäbe, an denen ich mich gerne messen lasse", so der Designer Ende der 2000er-Jahre. Herr Hildebrand kann sich jetzt getrost auf die Schulter klopfen, denn sein Entwurf wurde nicht nur ein wenig abgeändert bis 1997 als Daewoo Nexia gebaut, er wird seit 2008 in zweiter Generation noch immer in Usbekistan produziert. So viel zum Thema zeitlos.
Die windschlüpfige Tropfenform des Opel Kadett E bringt ihm nicht nur den Spitznamen Windei ein, er war mit einem cw-Wert von 0,32 im Windkanal auch recht erfolgreich. Neben dem konsequenten Design sorgen geglättete Scheibenebenen und flexible Fugendichtungen für einen Top-Wert. Selbst der damalige Windkanal-König Ford Sierra kommt "nur" auf einen cw-Wert von 0,33. 1985 wird der Opel Kadett E in Europa zum "Auto des Jahres" gekürt. Mit deutlichem Abstand vor Renault 25 und Lancia Thema übrigens.
Gebaut wird der neue Kadett auf der GM-T Platform des alten Kadett D in einigen Varianten. Darunter nicht nur das bekannte Fließheck als Drei und Fünftürer, sondern auch ein Kombi (ebenfalls drei- und fünftürig), eine Stufenhecklimousine (euphemistisch "Formheck" genannt), ein Cabrio mit Bügel und ein Lieferwagen namens Combo. Die Plattform selbst überlebt die Zeit sogar noch bis zum Astra G und Zafira A.
Die Palette der Ottomotoren reicht von einem 1,2-Liter-Motor mit 40 kW (54 PS) bis hin zu einem 2,0-Liter und einer Leistung von 115 kW (156 PS) im GSi 16V. Die Dieselmotoren liegen bei 1,5- bis 1,7-Liter und leisten zwischen 40 kW (54 PS) und 60 kW (82 PS). Unser gefahrenes Modell ist ein roter dreitüriger Opel Kadett 1.3 LS aus dem Jahr 1989. Einer der letzten mit Vergasermotor und 60 PS, bevor dieser zum Facelift im Frühjahr 1989 eingestellt wurde.
Auf einer Länge von knapp vier Metern und einer Höhe von 1,63 Meter hat Opel durch die Tropfenform viel Raumgefühl gewonnen. Von außen kaum vorstellbar, dass unsere fünfköpfige Familie damals mit Hund aufm Schoß und Fahrrädern auf dem Dach mit dem in Bochum produzierten Kadett in den Urlaub gefahren ist. Aber sitzt man einmal drin, wirkt es hier zumindest vorne recht angenehm und übersichtlich.
Einstellungsmöglichkeiten gibt es für Licht und Heizung, das Radio war damals optional. Dort, wo heute Infotainmentsysteme ihre Aufmerksam fordern, sitzt unscheinbar eine kleine Analoguhr. Das Kombiinstrument zeigt Geschwindigkeit, Tankinhalt, Temperatur und ein paar Signalleuchten - that's it. Der Rest von Armaturenbrett und Türpappen nimmt gerade so viel Raum ein, wie es nötig ist. Reduziert und aufgeräumt.
Gesessen wird auf sofaweichen schwarz-weiß karierten Polstern. Der Kofferraum packt 390 Liter. Heutzutage aus Ladungssicherungsgründen besser sein lassen: Hutablage raus und bis zum Dach mit Spielzeug vollpacken. Wir wussten es damals nicht besser.
Der Choke sorgt dafür, dass der Vergaser im kalten Zustand ein ausreichend fettes Benzin-Luftgemisch Richtung OHC-Motor schleust. Einmal warm gefahren, kann die Starthilfe reingeschoben werden. Der Vierzylinder rasselt und brummt danach vergnügt vor sich hin.
Der vorhandene Hubraum, die 60 PS und ein Gewicht von etwa 830 Kilo sorgen für ausreichend Fahrwerte, die heutzutage locker mit denen von Kleinstwagen alla Kia Picanto oder Toyota Aygo X mithalten können. Bei nur vier Gängen wird es jenseits der 80 km/h jedoch zunehmend laut.
Weniger mithalten kann heutzutage hingegen das Fahrwerk, das der Polsterung in Sachen Auslegung in nichts nachsteht. Es geht weich zu im Opel Kadett E. Er schaukelt auf, wippt nach und gönnt sich bei zu forscher Kurvenfahrt durchaus Schlagseite mit seiner Verbundlenker-Hinterachse. Ein Golf 2 war damals agiler. Die winzigen 13-Zoll-Felgen mit 155er-Bereifung schieben dann ordentlich über die Vorderachse mit Einzelradaufhängung.
Die Lenkung ist für solche Fahrmanöver ohnehin nicht ausgelegt. Arbeitet sie doch eher grobmotorisch, ohne Servounterstützung jedoch erstaunlich leichtgängig - auch beim Rangieren. Bis es wirklich in den Grenzbereich geht, hat der buckelige Kleine durch widerwilliges Schaukeln jedoch schon zehnmal angekündigt, diese Fahrkünste besser sein zu lassen -durchschaubar und gutmütig also.
Wer gemächlich mit dem Kadett unterwegs ist, profitiert vom großzügigen Federweg bei schlechten Straßenverhältnissen. Durchschläge gibt es hier so gut wie nie. Im allgemeinen Straßenverkehr ist er ein unaufgeregter Begleiter.
1989 bekommt der Opel Kadett E ein leichtes Facelift spendiert, das vor allem am schmaleren Kühlergrill zu erkennen ist. Im Herbst 1991 übernimmt der Opel Astra F das Kommando in der Rüsselsheimer Kompaktklasse. Das von Bertone gebaute Kadett Cabriolet wird sogar noch bis 1993 produziert.
Insgesamt laufen über 3,7 Millionen E-Kadett vom Band im Bochumer Werk. Allein 1987 werden europaweit 625.000 Neuzulassungen (!) registriert. Ein derart modernes und mutiges Design legten VW und Ford erst Anfang der 1990er-Jahre für ihre Kompaktklasse nach.
Undichte Motoren, Zylinderkopfdichtungsschäden und vor allem Rost an den markanten Radläufen hinten, an Schwellern und Unterboden haben den Kadett-E-Bestand arg dezimiert - verbastelte Exemplare sind zumeist längst verschrottet. Wer einen befriedigend erhaltenen Windkanalvorreiter sein Eigen nennen will, wird derzeit bei kleinen Motoren ab 2.500 Euro fündig. Ein guter GSi liegt eher im fünfstelligen Bereich, wenn denn überhaupt einer zu finden ist.