Mit dem 5,34 Meter Camper unterwegs durch Österreich
Trotz Corona, oder vielleicht auch wegen der weltweiten Pandemie, boomt die Caravaning-Industrie in Deutschland. Seit Jahresbeginn wurden in Deutschland bereits über 70.000 Neuzulassungen registriert, was einem Plus von über 15 Prozent im Vergleich zu 2019 entspricht. Und dass, obwohl Händler im Frühjahr für einige Wochen schließen mussten.
"Caravaning ist in diesen Zeiten eine der sichersten Urlaubsformen, da man mit einem Freizeitfahrzeug individuell und nur mit Personen des eigenen Haushaltes verreist und durch eigene Schlaf-, Wohn-, Koch- und Sanitärmöglichkeiten weitestgehend autark ist." erklärt Daniel Onggowinarso, Geschäftsführer des Caravaning Industrie Verbandes (CIVD), die Begeisterung der Deutschen fürs Campen.
Mit dem Transit Custom Nugget Plus bietet Ford seit 34 Jahren den Einstieg in die Wohnmobil-Welt. Dabei platziert Ford gemeinsam mit Westfalia den Nugget Plus in einer kleinen, aber feinen Marktlücke - mitten zwischen Freizeitvans á la VW T6 California und ausgebauten Kastenwagen CUVs auf Ducato-Basis. Wir haben den kompakten Camper bei unserem Trip quer durch Österreich einem umfangreichen Praxistest unterzogen.
Auf einer Länge von 5,34 Meter, exakt 36,7 Zentimeter mehr als der normale Nugget ohne "Plus", kann man so ziemlich alles unterbringen, was für den spontanen Urlaubstrip von Nöten ist. Verglichen mit dem kleinen Brüderchen ist die Bewegungsfreiheit im hinteren Teil des Campers größer, und es gibt gleichzeitig auch mehr Stauraum in den Schränken oberhalb des Küchenblocks. Neu ist auch ein zusätzlicher abgeschlossener Schrank mit Hängefunktion hinter der von vielen Nugget-Fans lang erwünschten festverbauten Banktoilette.
Die Chemietoilette von Thetford ist bequem nutzbar und zur Abtrennung des Toilettenbereichs gibt es ein quer-ausziehbares Rollo als Sichtschutz sowie einen Vorhang am Heckfenster. Mitreisende warten also besser draußen, während im Camper die wichtigsten Geschäfte erledigt werden. Zum Händewaschen danach kann gegenüber ein kleines Waschbecken heruntergeklappt werden. Daneben verbirgt sich der vom kleinen Nugget bekannte Anschluss für die Außendusche.
Den Duschkopf hierfür befestigt man einfach per Saugnapf am Fahrzeugäußeren. Wer es gerne intimer hat, kann für 449 Euro einen Heckklappensichtschutz ordern, um so ungestört duschen zu können. Außerdem findet sich in der Aufpreisliste für 667 Euro ein Warmwasserboiler, der bei Netzanschluss des Nugget Plus, auch beim Duschen für warmes Wasser sorgt. Mit einem Fassungsvermögen von 42 Litern (plus zehn Liter mit optionalem Boiler) ist der Frischwassertank allerdings recht knapp bemessen und muss entsprechend häufig aufgefüllt werden.
Auch sonst erweist sich die Plus-Variante im Test als Nugget mit allen Vorteilen. Unverändert bleibt er einer der wenigen echten Fünfsitzer in seiner Klasse und bietet auf der variablen Sitzbank zwei integrierte Isofix-Halterungen für Kindersitze. Die Pilotensitze im Cockpit drehen sich, dank abklappendem Handbremshebel, problemlos und aus der Seitenwand lässt sich ohne Mühe der Klapptisch zum Essen falten. Der Clou: Mit zwei Handbewegungen lässt sich dieser auf die gesamte Sitzbankbreite ausklappen und lädt zu gemütlichen Spieleabenden ein.
Quasi als Trennung im bewährten Zweiraumkonzept funktioniert die geräumige L-förmige Heckküche. Ein zweiflammiger Gasherd, eine Edelstahlspüle und diverse Staufächer und Regale bieten genug Platz, um allerlei Kochequipment unterzubringen. Der 40-Liter-Kompressor-Kühlschrank sorgt für frische Lebensmittel, wobei die Öffnung hierfür in der Arbeitsfläche integriert ist und zum Befüllen arretiert werden kann. Sind die Vorräte und Küchenutensilien erstmal verstaut, kocht es sich hier fast wie zu Hause. Statt viel Hochglanz gibt es im Nugget robust gestaltete Oberflächen, die aber auch mal ein heißen Wassertopf ohne Makel vertragen.
Unterhalb des Gasherds befindet sich der Warmwasserboiler mitsamt Kippschalter zum Ein-/Ausschalten der Tauchpumpe, der Sicherungskasten für die gesamte Heckbereich-Elektronik sowie ein Notaus-Drehregler zum Abschalten der zwei AGM-Batterien. Etwas verwundert darf man allerdings beim Anblick des gepolsterten Fachs unter dem Spülbecken sein, unter welchem ganz nebenbei die 2,8-kg-Gasflasche für den Zweiflammherd beherbergt ist. Das Fach gehört zur cleveren Lösung fürs untere Bettkonstrukt.
Wird die Sitzbank mit einigen beherzten Handgriffen (etwas Silikonspray schadet nicht) nach vorne gezogen, falten sich Sitzfläche und Lehne flach auseinander. Die so entstehende Liegefläche von 1,91 x 1,30 Meter ist trotz ihrer Härte und manchen Polsterwülsten erstaunlich bequem und bietet selbst groß gewachsenen Schläfern (leid geprüft bei eigenen 1,93 Metern Körpergröße) ausreichend Platz.
Hier kommt auch vorher erwähntes "Polsterfach" zugute, weil man mit den Füßen quasi in einem Staufach des Küchenblocks ruht. Tagsüber lässt sich hier aber auch beispielsweise die Bettwäsche oder, wie in unserem Fall mit Kleinkind, eine Kiste voll Spielzeug verstauen. Die vorderen Sitze lassen sich jedoch bei ausgebreiteter Bettfläche nicht mehr nutzen, da sie ganz nach vorn geschoben werden müssen.
Mit einer Liegefläche von 2,10 x 1,41 Meter bietet das ausziehbare Hochdach selbst für zwei Erwachsene mehr als genug Platz. Zum Aufbau wird die vordere Sichtblende (tagsüber lassen sich hier wunderbar Reisetaschen und Bettwäsche verstauen) runter geklappt und das komplette Bett samt Kaltschaum-Matratzen und Tellerfedern bis in den hinteren Fahrzeugbereich gezogen.
Zum Aufstieg ins Hochbett hakt man einfach die mitgelieferte Leiter (praktischerweise an einer Seitenwand neben der Toilette verstaut) am Küchenblock ein und entert mit drei Schritten auf der Leiter, gefolgt von einem weiteren auf dem Küchenarbeitsfläche, die komfortable Schlafwiese.
Oben angekommen hat man dank großem Dachfenster und zwei weiteren Fenstern an den Seiten links und rechts nicht nur einen guten Ausblick, sondern bekommt fürs Entertainment noch vier Lautsprecher, LED-Leseleuchte, einen 12V-Anschluss und Taschen zum Verstauen von Kleinkram. Natürlich sind die Fenster alle mit Rollos beziehungsweise Fliegengittern ausgestattet und, für Groß wie Klein, ist außerdem ein robustes Netz als Herausfallschutz vorhanden.
Dank der steuerbaren Diesel-Standheizung mit drei kW Leistung und der guten Wärmeisolierung, ruht man selbst bei eisigen Nächten auf über 2.500 Höhenmetern angenehm und kann sichs mollig warm machen. Am nächsten Morgen heißt es dann erstmal das untere Bettgestell wieder zur Sitzgruppe umbauen, das Hochbett einfahren und die Bettwäsche verstauen. Tauchpumpe einschalten, Wasserkocher aufsetzen und flugs den Tisch fürs Frühstück decken.
Während das Heißwasser gemächlich durch den Kaffeefilter läuft, noch kurz das Zähneputzen nicht vergessen - hier bietet sich einerseits das kleine Klappwaschbecken an der linken Seitenwand an, praktischer ist aber die normale Küchenspüle. Warum? Die kleine Ablage dahinter eignet sich neben der Aufbewahrung für Tassen und Gläser auch zum Anbringen von Sunnersta - günstigen Plastikbehältern von IKEA die man wunderbar als Zahnputzbecher, Gewürzfach oder Stiftehalter verwenden kann.
Generell bietet das schwedische Möbelhaus eine Vielzahl von praktischen Helfern: Kleine Plastikhaken (ebenfalls Sunnersta) zum Aufhängen des Müllbeutels, Toilettenpapierhalter mit Saugnapf (Tisken) oder stabilere Metallhaken (Kungsfors) zur Aufbewahrung von Jacken an der Ablage oberhalb der Hecktür.
Noch kurz den Abwasch erledigt und die brummende Wasserpumpe abgeschaltet, dann kann es weitergehen. Mit dem Großglockner und dessen Pasterzen-Gletscher im Rücken geht es die Hochalpenstraße und später die Bundesstraße weiter Richtung Krimmler Wasserfälle. Unterwegs überzeugt der Nugget mit dem 2,0-Liter-Vierzylindermotor und dessen ordentlichen 170 PS.
Wichtiger als die 155 km/h Spitze ist für uns Camper allerdings das kraftvolle Drehmoment von 405 Newtonmetern. Die sanft schaltende Sechsgangautomatik und der Abstandsregeltempomat machen die Reise gerade auf längeren Streckenabschnitten angenehm komfortabel.
Mit dem imposanten Anblick der Krimmler Wasserfälle, immerhin Österreichs höchste Wasserfälle und auch noch Wochen später prägend bei unserem dreijährigen Sohn in Erinnerung, geht es über die Zillertaler Höhenstraße weiter Richtung Vorarlberg. Vorbei an grasenden Kühen, zeigt sich auf der eng geschlungenen Bergstraße dann das souveräne Fahrverhalten des Ford Nugget Plus. Selbst in sportlich angefahrenen Kurven gerät der Camper, trotz Alkoven-ähnlichem Aufbau und 2,80 Metern Höhe, nur wenig ins Wanken.
Am Melchboden auf 2.020 Höhenmetern angekommen, eröffnet uns am frühen Morgen ein beeindruckendes Bergpanorama. Perfekt um ein Fazit über die bisher gewonnenen Eindrücke des zu ziehen: Als längere "Plus"-Version schlägt der große Nugget die Brücke zu klassischen Wohnmobilen mit separatem Bad, ohne dabei aber den typischen Transporter-Charakter anzunehmen.
Sein großes Raumangebot trotz kompakter Außenmaße ist nahezu konkurrenzlos (alternativ sind hier hauptsächlich der Pössl Vario 545 und der Westfalia Club Joker erwähnt) und gelingt Westfalia dank clever durchdachten Doppelfunktionen im Innenraum.
Wer zu zweit oder maximal zu dritt unterwegs ist, findet im Nugget Plus nahezu den perfekten Camping-Bus für Alltag und Reise. Möchte man es eine Nummer größer, der findet im Big Nugget von Ford quasi den großen Bruder vom großen Bruder - oder greift auf unzählige verschiedene Kastenwagen CUVs namhafter Hersteller wie Hymer, Weinsberg und Co. zurück.