Der Junior profitiert von viel Konzerntechnologie, aber wie ein Alfa fühlt er sich nicht an. Ist genau das der Schlüssel zum Erfolg?
Alfa Romeo profitiert beim neuen Junior erstmals von den Vorzügen der Zugehörigkeit zum Stellantis-Konzern, kann eine millionenfach erprobte Plattform und zeitgemäße Technologien nutzen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr eines gewissen Identitätsverlustes, eines Einheitsproduktes ohne erkennbare Alfa-DNA. Was bei Alfas B-Segment-SUV letztlich überwiegt, klärt der Test.
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Eingefleischte Fans der Marke Alfa Romeo haben es beim seit April 2024 angebotenen Junior alles andere als leicht. Dass er das erste reine Elektroauto des ruhmreichen Cuore Sportivo ist, reicht nicht. Denn zu allem Überfluss steht er auch noch auf der gefühlt meistgenutzten Plattform der Welt. Die Common Modular Plattform von Stellantis trägt das Gewöhnliche ja bereits in Namen. Verwendet wird sie unter anderem auch für den Opel Mokka, den Fiat 600, den Jeep Avenger oder den Peugeot 2008.
Mit der eigenen Seele und der speziellen Alfa-Persönlichkeit könnte es also durchaus schwierig werden. Zumal auch die Maschine unseres Testwagens nicht unbedingt mit Italianità um sich wirft. Also eigentlich wirft sie überhaupt nicht. Denn der 1,2-Liter-Mildhybrid-Dreizylinder des Junior Ibrida (daneben gibt es noch zwei Elektro-Varianten mit 156 und 280 PS) ist ein Konzernmotor reinsten Wassers, wurde ursprünglich von Peugeot-Citroën entwickelt.
Der Junior hat die dritte Generation des Aggregats an Bord. Die Anfälligkeiten der frühen "PureTech"-Motoren wurden beseitigt. Die Leistung liegt auch im Junior bei 136 PS und 230 Nm. Dazu kommen ein ins 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe integrierter Elektromotor mit 21 kW und 55 Nm sowie eine 900-Watt-Batterie. Bei unserem Testwagen handelt es sich um einen Fronttriebler, seit kurzem ist auch eine Q4-Variante mit zweitem Elektromotor an der Hinterachse und Allradantrieb erhältlich.
Die Preise für den Alfa Romeo Junior starten bei 29.500 Euro. Unser Tester in der Ausstattungsvariante "Speciale" bietet für seine 31.500 Euro eine ziemlich gehobene Serienausstattung mit 18-Zoll-Rädern, Lederlenkrad, elektrisch verstellbarem Fahrersitz mit Massagefunktion oder elektrisch betätigter Heckklappe mit Gesten-Steuerung.
Die Konkurrenz kommt größtenteils aus dem eigenen Stall. Wir erwähnten es bereits. In die gleiche Kategorie fallen unter anderem der VW T-Cross und Taygo, der Hyundai Bayon oder der Toyota Yaris Cross.
Neben dem extrem limitierten Superportwagen 33 Stradale ist der Junior das Erstlingswerk des aktuellen Alfa-Design-Direktors Alejandro Mesonero-Romanos. Obwohl die Marketing-Abteilung der Italiener mit vermeintlichen Referenzen an Ikonen der Alfa-Historie nur so um sich wirft, scheidet das Design des Junior die Geister.
Der ein oder andere sieht zu viel von anderen Stellantis-Fahrzeugen, viele echauffieren sich über den ungewöhnlichen Plastik-Scudetto (Kühlergrill). Wer unter allen Umständen einfach nur kritisieren will, kann dem Entwurf womöglich eine gewisse B-SUV-Beliebigkeit vorwerfen. In unseren Augen trifft das nicht unbedingt zu. Gesicht und Heck wirken durchaus spannend. Und die Silhouette passt auch. Nicht vergessen: Das hier ist keine Sportlimousine und auch kein vor Sex triefender Supercar-Keil, sondern ein 4,17 Meter langes Klein-SUV.
Sollten Sie sich in die Farbe verguckt haben: Das "Blu Navigli" kostet 900 Euro Aufpreis (wie hier mit schwarzem Dach sind es 1.200 Euro) und leuchtet in der Sonne schon nicht so ganz unattraktiv. Die 18-Zöller im neu interpretierten Alfa-Look sind Serie. Größere Räder gibt es im Ibrida aktuell nicht.
Das Gestühl wirkt relativ simpel und etwas mau ausgepolstert. Das schlägt sich in ausbaufähigem Seitenhalt nieder, aber bequem sind die Sitze schon. Zudem passen sie auch für größere Fahrer - wahrlich keine Selbstverständlichkeit in dieser Klasse.
Wer das 2.500 Euro teure Sportpaket bucht, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Sabelt-Schalensitze ungeheuer attraktiv, aber eben auch saueng geschnitten sind. Also lieber vorher probesitzen. Unabhängig vom gewählten Sitz gefällt die sehr un-SUVige - sprich: schön niedrige Sitzposition.
Im Fond ist die Situation dagegen alles andere als rosig. Ich kann mit meinen 1,85 Meter hinter mir selbst definitiv nicht sitzen und das dürfte auch für deutlich kleinere Erwachsene relativ schwierig werden. Wenn Sie den Junior als Familienauto nutzen wollen, ist Ihre Familie hoffentlich insgesamt sehr klein. Oder hat eher kurze Beine, denn oben raus ist alles gut, die Kopffreiheit geht vollkommen in Ordnung. Hier ist jede Menge Platz auch für riskantere Frisuren.
Als "Speciale" ist dieses Exemplar der zweitgünstigste Junior, den man kriegen kann. Betrachtet man die Materialauswahl, wird günstig allerdings sehr schnell relativ. Große Teile des Cockpits sind nichts anderes als in Kunststoff gegossener Kostendruck. Immerhin gibt es ein paar kleinere Inseln, die selbigem mit einem ganz schicken lederähnlichen Material entfliehen konnten.
Punkten kann Alfas Kleinster dagegen mit recht viel Praktikabilität und Durchdachtheit. In die Türablagen passen auch größere Flaschen und es gibt ein großzügiges Fach fürs Handy mit induktiver Ladefunktion und je einem USB-/USB-C-Slot. Dazu spendieren die Italiener zwei große Ablage-Fächer in der Mittelkonsole.
Schön auch: Unter dem zentralen 10,25-Zoll-Bildschirm fand man Platz für eine klassische Bedienleiste mit richtigen Knöpfen zur Einstellung aller Klimafunktionen und der Lautstärke-Regelung. Ebenfalls ganz praktisch (dieses Mal über dem Infotainment-Screen): Ein physischer Home-Button sowie ein Shortcut zur Eliminierung nerviger Pieps-Assistenten.
Beim Bedienen des eher schlichten Infotainments selbst wischt man recht viel in der Gegend herum, aber vermutlich verbinden die meisten Kunden ohnehin ihr Smartphone und arbeiten mit Apple CarPlay respektive Android Auto. Das ebenfalls 10,25 Zoll große Instrumentendisplay gibt keine Rätsel auf, die Darstellung ist übersichtlich und gut konfigurierbar (Navi-Karte etc.). Das gilt auch für die Bedientasten- und -funktionen am Lenkrad.
Apropos: Das kleine, vergleichsweise niedrig montierte Lenkrad und auch der Fahrmodus-Schalter auf der Mittelkonsole schreien ganz laut "Peugeot". Verglichen mit den i-Cockpit-Experimenten der Franzosen stört es hier aber nicht so. Ganz im Gegenteil. Zur guten Ablesbarkeit der Instrumente kommt das Gefühl einer sportlichen Fahrposition.
Bliebe noch der Kofferraum, der mit 415 bis 1.280 Liter sicher ein starkes Argument für das Einstiegsangebot von Alfa Romeo darstellt. Hier auch sehr praktisch: der in drei Ebenen einstellbare Ladeboden, der je nach Stellung ein sehr brauchbares Fach unter sich freigibt.
Spätestens hier werden die Bürden, die so eine Konzernplattform mit ihren gefühlt 23 Derivaten mit sich bringt, mehr als offensichtlich. Es mag bei einem elektrischen 280-PS-Junior Veloce mit umfangreichem Fahrwerkstuning, Vorderachssperre und Sabelt-Schalensitzen womöglich anders sein, aber als 136-PS-Mildhybrid mit eher niedrigem Ausstattungslevel, besitzt dieses Auto fahrerisch und charakterlich im Prinzip nichts mehr, was es eindeutig als Alfa Romeo kennzeichnen würde.
Der 1,2-Liter-Konzern-Dreizylinder bietet auf dem Papier sehr ordentliche Fahrleistungen und fühlt sich auch ausreichend flott an, wenn er mal in Schwung ist. Bis dahin durchwandert er allerdings ein recht tiefes Tal der Lethargie. Man muss das Gaspedal schon ziemlich malträtieren, wenn man den Wunsch hat, dass etwas vorwärts geht. Auch wenn man im zweiten oder dritten Gang unter wenig Last dahinrollt und plötzlich Leistung abfordern möchte, bewirkt ein kleiner Wischer übers Fahrpedal eher wenig.
Ein schwerer Gasfuß ist also gefragt, wenn man den Verbrenner-Junior aufwecken möchte. Er kommt eben ein wenig zäh aus dem Knick. Ist diese Phase überwunden, liefert er sehr befriedigenden Vortrieb. Von einer Alfa-typischen Lebendigkeit, Drehfreude oder einem eigenen Charme sind wir hier allerdings weit entfernt.
Gleiches gilt fürs Handling. Die Lenkung ist relativ taub und nicht übermäßig direkt oder schnell. Das Fahrwerk an sich macht eigentlich einen sehr kompetenten Eindruck. Das Auto zeigt wenig Wankbewegungen, fährt sehr lange neutral und erreicht sehr mühelos und entspannt hohe Kurvengeschwindigkeiten. Zudem verfügt es über einen hervorragenden Federungskomfort.
Aber für einen echten Alfa mangelt es ein wenig an Inspiration, an Sportsgeist, an Spielwitz. In dieser Variante ist er doch recht weich und ziemlich gelassen, auch das Bremspedal drückt sich recht lätschern. Insgesamt erhielt hier ein bequemer und reibungsloser (wenn auch etwas fader) Umgang im Alltag den Vorzug vor einer eigenständigen, aufregenden Fahrperformance.
Von einem individuellen Alfa-Spirit bleibt in dieser Konstellation wenig übrig. Vermutlich hat man beim Junior auch deswegen so viele Alfa-Schriftzüge und Logos an allen nur erdenklichen Stellen installiert, damit die Insassen auch ja nicht vergessen, dass sie nicht in einem Peugeot/Opel/Citroen/DS/Fiat sitzen.
Dass die Alfa-eigene Marken-Identität beim Junior gehörigen Schiffbruch erleidet, scheint die Kundschaft indes nicht unbedingt zu stören. Nachdem die Hoffnungsträger Stelvio und Tonale nicht den dringend benötigten Verkaufszahlen-Push liefern konnten, sieht es beim Junior nach unterwältigendem Start nun deutlich besser aus. Sollte er sich bei gut 5.000 Verkäufen im Monat einpendeln können (wonach es im Moment durchaus aussieht), würde er fast im Alleingang das komplette Alfa-Jahresergebnis 2024 (62.000 Neuzulassungen) erreichen.
Und seien wir ehrlich: Alfa kann es egal sein, ob die alteingesessenen Fans der Marke den Junior nicht sportlich, schön oder eigenständig genug finden. Es geht offensichtlich darum, normaler zu werden und einen wesentlich breiteren Kundenkreis anzusprechen. Wer sich daran stört, hätte halt verdammt nochmal mehr Giulias kaufen sollen.
Dem Junior Ibrida kann das gelingen. Er fährt alles andere als spektakulär, aber er ist technologisch auf dem neuesten Stand, lässt sich komfortabel und stressfrei bewegen, er hat einen vergleichsweise großen, praktischen Kofferraum und er startet bei unter 30.000 Euro. Das sind gewichtige Argumente, die offenbar auch ziehen. Dennoch wäre es wünschenswert, etwas weniger Stellantis und deutlich mehr Alfa Romeo zu bekommen.