Renault-CEO Cambolive hält sich im Motor1-Interview alle Optionen offen
Das Klima für Kleinstwagen respektive Cityflitzer wird rauher. Schärfere Vorschriften bei Abgasnormen und Sicherheitsausstattung machen die Minis immer teurer. Oder sie verschwinden komplett vom Markt, da sie preislich schon zu nahe am nächsthöheren Modell sind. Opel Karl, Ford Ka+ oder Peugeot 108 sind bereits tot, der VW e-Up lebt noch bis Anfang 2024.
Wie kann also die Zukunft aussehen? Toyota hat den Yaris zum neuen Aygo X verkürzt, Mitsubishi baut den Space Star seit Ewigkeiten munter weiter, ebenso Fiat den Panda und den Verbrenner-500. Bleibt als Rettungsanker nur der Elektroantrieb? Mit Blick auf das für 2035 beschlossene Zulassungsverbot für neue Verbrenner in der EU wird es wohl langfristig so sein.
Aber die Betonung liegt auf langfristig. Selbst ein Riese wie VW gibt zu, dass ein kleines Elektroauto unterhalb der Studie ID.2all im Bereich um 20.000 Euro wohl nicht vor 2027 machbar ist. Wie sieht es bei Renault aus? Dort feiert man aktuell den 30. Geburtstag des Twingo. Doch der legendäre Name scheint aufs Abstellgleis zu fahren.
Seit September 2014 ist die aktuelle dritte Generation mit fünf Türen auf dem Markt. Ihren Heckmotor verdankt sie der Kooperation mit Smart. Im slowenischen Renault-Werk in Novo Mesto lief der Twingo gemeinsam mit dem Smart Forfour vom Band. Letzterer wurde Ende 2021 vom Markt genommen. In Gestalt des neuen #1 verfolgt Smart zudem jetzt eigene Wege, die nach China reichen.
2019 bekam der Renault Twingo ein Facelift, seitdem wurde die Motorenpalette stark ausgedünnt: Nix mehr mit 90 oder gar 110 PS, übrig sind nur noch der Basis-Benziner mit 65 PS sowie die Elektrovariante E-Tech mit 60 kW (82 PS) Leistung. Was wird also aus dem Twingo? Dazu (sowie der Rolle von Dacia und zum künftigen Renault-Design) haben wir den frisch ernannte Renault-Markenchef Fabrice Cambolive befragt:
Ich kenne viele Leute, die den Renault Twingo fahren, sogar die erste Generation, und sie sind sehr stolz auf ihn. Aber jetzt sehen wir, dass der Twingo immer mehr aufs Abstellgleis gerät. Wie sehen also die Zukunftspläne von Renault in diesem Segment aus? Werden wir noch einen neuen Twingo sehen oder nicht?
Ich denke, wir müssen ein Angebot für das A-Segment neu erfinden. Zunächst einmal, was das A-Segment angeht, gibt es in Europa nicht so viele Angebote. Deshalb machen der Twingo und insbesondere der Twingo EV ihren Job. Ich denke, dass wir auf der anderen Seite viele neue Trends wie das Quadricycle sehen können.
Das bedeutet, dass man im A-Segment ein Auto braucht, das an die Stadt angepasst ist und alle neuen Konnektivitätsmöglichkeiten integriert. Die ganze neue Technologie in Bezug auf Konnektivität. Das bedeutet, dass es einen Bereich gibt, den wir erforschen müssen.
Das heißt, wir lassen das offen, und wenn es Neuigkeiten gibt, werden wir in den kommenden Monaten oder Jahren darauf zurückkommen. Wir haben diese Antwort bis jetzt offen gelassen, und wir wissen, dass das A-Segment wieder ein Segment sein könnte, in das wir einige Innovationen bringen müssen. Das ist klar.
Wir sehen zudem, dass die Marktanteile von Dacia in Deutschland und in Europa steigen. Sehen Sie hierin eine Gefahr für Renault?
Ich denke, wir haben einen sehr komplementären Ansatz, was die Produkte und die Technologie anbelangt. Und was die staatliche Regulierung angeht, so investieren wir viel in die Elektroauto-Palette. Wir haben jetzt die Vollhybridtechnologie über die gesamte Produktpalette verteilt, und Dacia ergänzt uns sehr gut im B- und C-Segment.
Ich würde sagen, wenn Dacia erfolgreich ist, sehe ich keine Gefahr, wenn man die komplementäre Art unserer Produktpalette berücksichtigt. Übrigens versuchen wir auch bei Renault, nicht dieselbe Art von Konzept zu überlagern. Wenn Sie sich zum Beispiel unser Angebot im C-Segment ansehen, wenn Sie Arkana und Austral nehmen, dann gibt es keine Kannibalisierung.
Ganz und gar nicht. Das heißt, die beiden Autos zielen wirklich auf unterschiedliche Kundenbedürfnisse ab. Wenn Sie künftig den Megane Electric und den [elektrischen] Scenic nehmen, denke ich, dass sich die beiden Autos auch im C-Elektro-Segment sehr gut ergänzen, was die Kundengröße angeht.
Ich würde sagen, die beste Antwort darauf ist, dass wir in unserer Produktpalette keine Klone mit der gleichen Größe, dem gleichen Konzept und nur ein paar unterschiedlichen Merkmalen anbieten, sondern wirklich differenzierte und sehr komplementäre Angebote. Clio, Captur: Sehr unterschiedlich. Renault 5, Renault 4, überhaupt nicht das gleiche Konzept.
Gibt es einen Zeitplan, wann alle neuen Renault-Modelle rein elektrisch sind?
Wir sagen, dass wir Ende 2030 in Europa ein voll elektrisches Angebot haben werden.
Soweit Fabrice Cambolive. Ein klares "Jein" gewissermaßen. Wie könnte es also beim Twingo weitergehen? Der elektrische Renault 5 kommt 2024 auf den Markt und soll preislich attraktiv sein. Spätestens dann dürfte das Totenglöcklein für den aktuellen Twingo läuten. Kleine elektrische Konzepte aus dem Renault-Konzern gibt es aber durchaus: Etwa den Mobilize Duo, der Ende 2023 als Nachfolger des Twizy im Abo starten soll.
Und den jüngst auf bis zu 65 PS erstarkten Dacia Spring sowie in Japan den etwa gleich starken Nissan Sakura als elektrisches Kei-Car. Der kommende Renault 5 basiert auf der neuen Plattform CMF-B-EV. Die Abkürzung CMF steht dabei für Common Modular Family, das B für das Kleinwagensegment und EV natürlich für Electric Vehicle, also Elektroauto.
Nicht auszuschließen wäre längerfristig also eine CMF-A-EV-Ableitung für die Nachfolger von Twingo, Spring und Sakura. Fest steht: Renault wäre gut beraten, den Namen Twingo nicht für ewig in der Schublade abzulegen. Mustang, Capri, Manta, Micra oder eben Renault 5 und Renault 4 sind gute Beispiele. Vielleicht kann sich Renault ja sogar zu einem Retro-Design im Stil des legendären und vielseitigen Ur-Twingo durchringen.