Der Hardcore-Carbon-Renner ist härter, schneller und deutlich teurer als die grandiose Basis - macht das wirklich Sinn?
Die bisher radikalste Variante der Alpine A110. Mit Abstand. Ein Auto, dass wir im Prinzip alleine für seine blanke Existenz beweihräuchern sollten. Ich meine, welcher Hersteller hat im Jahr 2023 einen 1100-und-ein-bisschen-was-Kilo schweren Mittelmotor-Extremisten im Programm und sagt dann: Hey, machen wir ihn leichter, unbequemer, lauter und bewerfen wir seinen zarten Leib mit 7/8 der weltweiten Carbon-Vorräte!?
Ja, ich weiß, es klingt fantastisch! Die Hardcore-Variante eines Autos, das nur asketischer sein könnte, wenn es aus England käme und es reinregnen würde. Gleichzeitig ist durchaus Potenzial vorhanden, dass die Geschichte mächtig in die Hose geht.
Der Sportwagen-Afficionado ahnt, was jetzt kommt: Jap, der Minimalismus der Alpine A110 funktioniert vor allem deswegen so gut, weil sie vergleichsweise weich ist, weil sie fließt, weil sie mit ihren klapperdürren Reifen tanzt und wedelt, ohne dass man dafür Geschwindigkeiten fahren muss, auf die eine mehrjährige Freiheitsstrafe steht.
Und jetzt kommt Alpine daher, klaut der Karre Federweg, erhöht den Abtrieb und tackert sie mit klebrigen Cup-Reifen am Asphalt fest. Man verernsthaftet seinen einst so verschmitzten Filou. Tauft ihn nach 5 Jahren im Namen des Curbs, des Scheitelpunkts und der heiligen Rundenzeit, Amen. Um Himmels Willen, möchte man da fast sagen.
Die 2019 vorgestellte A110 S geht ja schon ein gutes Stück weit in diese Richtung und nicht jeder war, bei aller unbestrittenen Performance, so komplett angetan von den athletischeren Wesenszügen. Da ging so ein bisschen das Legere verloren, die Leichtigkeit des Seins.
Die A110 R lässt solche Diskussionen erst gar nicht aufkommen. Sie soll radikal sein. Punkt. Entsprechend ging man bei den Optimierungen in die Tiefe. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was man auf mickrigen 4,18 Meter alles verändern kann. Nein ernsthaft, wenn ich das hier alles aufliste, dann lesen Sie morgen noch. Deshalb ein freundlicher Verweis auf diesen informativen Artikel zur A110 R (den Sie vermutlich doch noch heute fertig schaffen) und hier das Wichtigste in aller - naja - Kürze:
Wie macht man ein Auto schneller? Klar, mehr Leistung rein, fertig. Das ist jedoch ein Ansatz, der den Herrschaften bei Alpine zutiefst zuwider ist. Es bleibt beim 1,8-Liter-Vierzylinder-Turbo aus der 110 S mit 300 PS und 340 Nm.
Also Gewicht runter. Bei einer 1.106 Kilo schweren Basis auch irgendwie ein Scheißjob. Aber wo ein Wille ist, ist ein Weg und Kohlefaser ist der Schlüssel. Viel Kohlefaser. Für den größten Wow-Effekt sorgen natürlich die zweiteiligen Carbon-Felgen von Duqeine. Das 7,5er-18-Zoll-Rad vorne wiegt 6,6 (!) Kilo, die 8,5-Zoll-Felge hinten liegt bei 6,9 Kilo. Eine Ersparnis von 12,5 Kilo gegenüber Alu und zwar dort, wo es am schönsten ist - bei den ungefederten Massen.
Carbon trägt die R auch am Frontsplitter, der Haube (-2,6 Kilo), dem Dach, den Seitenschwellern, dem größeren Heckdiffusor, dem schwanengehalsten Heckflügel und der Motorabdeckung (-4 Kilo). Dass man jetzt nicht mehr nach hinten rausschauen kann, ist wohl egal, wenn man es ernst meint mit der Diät. Hat ja noch zusätzliche Vorteile: Man braucht keinen Innenspiegel und keine hinteren Seitenscheiben mehr - hören Sie die Pfunde purzeln?
Weitere Schwergewichte bei der Gewichtsvernichtung sind die unfassbar scharfen Carbon-Schalensitze von Sabelt (-5 Kilo) sowie das Entfernen nicht zwingend notwendiger Teile (-8,9 Kilo). Dazu zählt unter anderem ein Haufen Dämmmaterial zwischen Motor und Kabine, was ja auch der Akustik gewisse Hemmungen nimmt. Genau wie der lautere Auspuff, dessen Klappe man eliminiert hat. Spart 700 Gramm. Ein Penny-Business.
Insgesamt hat man 34 Kilo gegenüber der A110 S eingespart. Auf 1.082 Kilo kommt die A110 R. Zum Vergleich: Ein Porsche Cayman mit der gleichen Leistung wiegt über 300 Kilo mehr. Puh!
Aber es ist nicht nur das Gewicht. Auch aerodynamisch wurde ordentlich ins Horn gestoßen. Das Auto wurde eine Ewigkeit im Windtunnel des eigenen F1-Teams angeblasen. Selbiges kam auch mit sämtlichen Ideen des Aero-Konzepts um die Ecke. Der Heckflügel etwa sitzt nun etwas weiter hinten als bei der A110 S. Und schauen Sie mal auf die Räder. Die sind vorne recht offen, um die Bremsen zu kühlen und hinten recht geschlossen, um den seitlichen Luftstrom zu verbessern.
Gegenüber dem Standard-A110 gibt es 30 Kilo mehr Abtrieb an der Front und 110 Kilo mehr Abtrieb am Heck. Bei gleichem Luftwiderstand. Die Bremsenkühlung wurde, auch dank optimierter Luftleitung unter dem Auto, um 20 Prozent verbessert. So spart man sich größere Bremsen, was wiederum Gewicht spart. Sie erkennen das Muster ...
Zusätzlich steht das Auto auf einem Gewindefahrwerk mit einstellbaren Dämpfern von ZF und 10 Prozent strafferen Federn von Eibach (mit Helperfedern wie bei Porsches GT-Modellen). Standardmäßig ist es 10 mm tiefer, für die Strecke kann man es aber noch 10 mm weiter runterschrauben. Dazu kommen neue Stabilisatoren, die vorne 10 und hinten 25 Prozent steifer sind.
Laut Alpine wurde das Fahrwerkssetup komplett um die Michelin PS Cup2-Semislicks herum entwickelt. Die fallen mit 215er-Gummis vorne und 245er-Schlappen hinten noch immer relativ schmal aus, was Hoffnung macht, dass der R bei aller Seriosität die Spielfreude nicht komplett über Bord geworfen hat.
Nun, schon beim Einsteigen ist ersteres zu befürchten. Hmm ... Sechspunkt-Renngurte. Und wo ist der normale Sitzgurt? Ahso, gibt es nicht. Spart nochmal 1,5 Kilo und macht die schnelle Fahrt zum Bäcker- nun ja - etwas weniger schnell. Also Bauch einziehen, Klick Klick und los.
Die Sitzposition ist besser als in der Erinnerung. Und obwohl es sicher noch nie weniger Polsterung an einem Autositz gab, ist das Ding auch bei längerer Fahrt saubequem. Welch ein glorreicher Stuhl.
Man hat uns zum Fahren nach Madrid gekarrt. Dessen bergige Umgebung ist ein Traum, knapp 2 Grad Außentemperatur und kalte Cupreifen aber eher das Gegenteil davon. Etwas nervös mahnt der ein oder andere Alpine-Offizielle zum behutsamen Warmfahren der Pneus. Nicht nötig: 215er-Semislicks nahe am Gefrierpunkt auf einer Mittelmotorfräse flößen mir von Natur aus Respekt ein.
Kurzer Heckschwenk im ersten Kreisverkehr, bisschen Autobahn, Reifen jetzt halbwegs warm, rechts ab in die Serpentinen und schauen, was passiert. Es rubbelt ein wenig an der Vorderachse, aber das ist eher ein Stück hilfreiche Information durch die einmal mehr herausragende Lenkung, die im R fester und schwerer wirkt. Denn schon jetzt merkt man, dass das Auto überraschend gut gript. Vorne und auch hinten, wohlgemerkt. Ein spürbar fokussierterer Auftritt als beim Basismodell. Mit deutlich weniger Wank- und Rollneigung.
Die Vorderachse ist noch agiler, mehr unter Zug. Der Hintern folgt unbeeindruckt. Alles ist straffer, konzentrierter, souveräner. Und weniger spaßig? Nicht doch, nur anders. Wobei der Schalk der A110 R nicht mehr gar so präsent im Nacken sitzt. Und weil das sauber gedämpfte, noch vertretbar harte Fahrwerk seinen Job mit weniger Laissez-Faire angeht merkt man plötzlich, dass es an anderer Stelle hakt.
Der R scheint seinem Motor entwachsen. Er kann jetzt einfach so viel mehr, dass 50, 60 Extra-PS wirklich gut tun würden. Da wiederum macht aber das Getriebe nicht mit. Die 7-Gang-Doppelkupplung ist am Limit.
Das Seltsame: Der Einsachter-Turbo geht auf dem Papier wie der Teufel. 0-100 km/h in 3,9 Sekunden, 285 km/h Spitze. Aber gefühlt fehlt es der Maschine an Volumen. Es gibt keinen Bereich im Drehzahlband, der wirklich aufregend ist. Und wenn das Teil bei Sechsacht in den Begrenzer rasselt, denkt man immer: Oh man, so eineinhalbtausend Touren mehr wären jetzt echt schön gewesen. Außerdem klingt der R trotz manigfaltiger Bemühungen (optimierte Ansaugung, weniger Dämmung, speziell geformte Endrohre aus dem 3D-Drucker) eher mühselig als wirklich schön.
Natürlich bleibt die Alpine auf der Landstraße auch im Hardcore-Gewand ein herausragendes Erlebnis. Wenn sie einem nun auch mehr abverlangt, wenn man sie zum Tanzen bringen will. Die Zeichen verdichten sich, dass dieses Auto eine Rennstrecke braucht, um sein Repertoire in Gänze zu zeigen.
Wow, eine hervorragende Frage! Und die Antwort ist eindeutig "Ja". Die 110 R ist am Limit eine echte Schau. Auch hier muss man sein Hirn erst einmal umkalibrieren, weil man den schmalen Vorderreifen einfach nicht so recht vertrauen will in Kurven, die lang und länger werden. Noch dazu, weil die Vorderachse auch hier immer ein bisschen am Flimmern ist. Sie flimmert, aber sie bricht nicht weg. Nur Mut, es funktioniert.
Auch das Heck überzeugt mit ungeahnter Traktion. Beim Basismodell reicht es ja, sich leicht in die Kurve hineinfallen zu lassen und der Hintern kommt geflogen. Hier muss man ein Ausscheren schon ganz bewusst initiieren, wird dann allerdings mit einer traumhaften Balance belohnt. Lockerleicht am Limit entlang balanciert ist da, wo die große Glückseligkeit beginnt.
In die Kurve reinbremsen, um Gewicht auf die Vorderachse zu kriegen (geht vollkommen unzickig), rum ums Eck, kurz vorm Scheitel rein ins Gas und leicht seitwärts, viel vorwärts wieder raus aus dem Eck.
Jetzt spielt sie, jetzt fliegt sie, die Alpine. Mit grandioser Rückmeldung und feinster Klinge. Es ist so anders als etwa in einem Porsche Cayman GT4, der am Ende souveräner, standfester, aber eben auch schwerfälliger, weniger tänzerisch wirkt. Und das will wirklich etwas heißen.
Das ist nicht so einfach. Dieses Auto ist zweifelsfrei ein großer, großer Spaß. Etwas sehr rar Gesätes. Optisch, dynamisch und von der Entwicklungstiefe her eine Art Mini-Me-Supercar, wenn Sie so wollen. Das natürlich nicht ohne Fehler auskommt, wo wären wir denn da?
Auch und gerade auf der Piste zeigt, sich, dass dem so umfassend professionalisierten Wagen ein Leistungsschub ganz gut zu Gesicht stünde. Aber das ist sicher eine Philosophiefrage.
Wenig zu philosophieren gibt es hingegen an den Schaltpaddles. Das Getriebe selbst macht weiterhin einen sehr vernünftigen Eindruck. Viel besser als das DKG im Mégane R.S. etwa. Aber das nützt ja alles nix, wenn man beim Lenken nicht schalten kann. Entweder ihr baut die Dinger ans Lenkrad oder ihr macht die schicken Alu-Teile deutlich länger. So ist das nämlich eher blöd, wenn man ständig ins Leere greift oder sehr seltsame Verbiegungen mit seinen Händen vollführen muss.
Bliebe noch der Preis, der den ein oder anderen Interessenten aufheulen lassen wird, als wäre er gerade barfuß gegen eine Tischkante gelaufen. Die A110 R kostet nämlich 103.000 Euro. Das sind 41.000 Euro mehr als man für eine normale A110 bezahlt. Klar, der Aufwand der betrieben wurde ist enorm. Die Menge an Carbon auch (ich will gar nicht wissen, was allein die Räder kosten). Aber wir reden hier nach wie vor von einem keine 4,20 Meter langen Zweisitzer mit 1,8-Liter-Vierzylinder.
Somit dürfte der R auch bei der Klientel "Hardcore" bleiben. Ich tippe auf Sammler, extrovertierte Sportwagen-Fans, Alpine-Verehrer und Rennstrecken-Nerds mit starkem Hang zum Individualismus.
Genau die bekommen hier ein sehr außergewöhnliches, fahrdynamisch brillantes und begehrenswertes Gesamtpaket. Wer sich eher als Genuss-Landstraßenfahrer sieht, ist mit der deutlich günstigeren und alltagstauglicheren Standard-A110 aber wohl besser bedient.