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Der neue Range Rover (2022) im Test: Perfekter Perfektionismus

Sollte man wirklich über 270.000 Euro für dieses Luxus-SUV ausgeben? Sitzt. Perfekt.  Richtig ruhig, Range Rover Fahrwerk. Fantastisch. Offroad, aber mit Stil Schnell, schnell, schnell Die Preisfrage Fazit: 10/10 Punkte

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Die fünfte Generation des Range Rover ist da und seit Ende April 2022 auf dem Markt. Mit ihr passiert etwas Merkwürdiges. Man kann für diese Mischung aus Luxus, Performance und Offroadtauglichkeit in Form eines Designmeisterwerks mehr als 270.000 Euro ausgeben. Ist das eine kluge Entscheidung, so viel Geld an Land Rover zu überweisen oder sollte man bei solchen Preisen vielleicht nicht doch ein anderes Fahrzeug wählen? Zeit für einen Test!

Abmessungen? Sind in dieser Fahrzeugklasse eigentlich völlig egal. Hauptsache groß mit monolithischem Design, das die Ausmaße zwar betont, aber das Anti-Geringverdiener-Gesamtkunstwerk nicht allzu protzig wirken lässt. Und mit einer Länge von 5,06 Meter, 2,05 Meter in der Breite und einer Höhe von 1,87 Meter spielt der Range Rover selbst in der SWB-Version immer noch in einer Liga mit dem BMW X7 oder dem Mercedes-Benz GLS. Zumindest größentechnisch, denn die beiden Nur-Premium-Modelle sehen irgendwie prolliger aus.

Mit dem Gesamtkonzept des neuen Range Rover hat der Hersteller also künftig auch andere Kontrahenten im Visier. Gesetztere Kontrahenten. Den Bentley Bentayga beispielsweise. Oder den Rolls-Royce Cullinan. Zumindest in manchen Ausstattungsvarianten.

Sitzt. Perfekt.

Und deshalb bietet Land Rover die fünfte Generation auch mit langem LWB-Radstand an. Rund 21.000 Euro Aufpreis kosten die 200 zusätzlichen Millimeter zwischen den Achsen. Bei den Sitzkonfigurationen hat man die Wahl zwischen einer ziemlich normalen 5-Sitzer-Version und einer SV-Variante mit 2+2 Sitzen. Bei dem letztgenannten Derivat finden wir dann Dinge wie ausklappbare Ottomanen, serienmäßige Massagefunktionen, ein Champagnerkühler und einen elektrisch ausfahrbaren Mitteltisch, der entweder mit Holzfurnier oder Lederbezug erhältlich ist im Fond. Wer will da eigentlich noch selbst fahren?!

Darüber hinaus wird der Range Rover LWB auch mit einer dritten Reihe angeboten, die über die Türen der elektrisch verstellbare zweite Reihe geentert werden kann. Die zwei zusätzlichen Plätze kosten 1.600 Euro extra. Sitzheizung ist dort serienmäßig, USB-C-Ladebuchsen und Cupholder auch. An Flexibilität mangelt es dem gewaltigen Briten also nicht. Trotzdem fragen wir uns, warum Land Rover keine Option mit sechs Sitzplätzen anbietet?! Obwohl ... wenn Sie das Event Seating mit zwei rückwärtigen Stühlen auf der bis zu 300 kg belastbaren Heckklappe bestellen, haben Sie in gewissen Weise ja ein Auto mit sechs Plätzen zur Verfügung ...

Der Rest der Innenraum-Komponenten des Range Rover ist weitestgehend aus anderen Land Rover-Modellen bekannt. Allerdings scheint es fast so, dass der Hersteller noch einmal intensiver im Interieur aufgeräumt hat. Das neueste Pivi Pro Infotainment-System ist schnell und leicht zu erlernen und basiert auf einfachen, konfigurierbaren Kacheln. Es ist auf einem ziemlich schönen 13,1-Zoll-Display untergebracht. Hinter dem Lenkrad thront ein neues digitales 13,7-Zoll-Kombiinstrument, das - genau wie der Infotainment-Bildschirm - nicht mit dem Armaturenbrett verbunden zu sein scheint.

Nett: Die Klimaregelung geschieht weiterhin über ein ausgelagertes Bedienfeld. Verarbeitung, Ausstattung und Materialien? Über jeden Zweifel erhaben und für einen potenziellen Rolls-Royce- oder Bentley-Gegner gerade richtig.

Richtig ruhig, Range Rover

Nach den Trockenübungen auf dem Parkplatz vom Salzburger Flughafen geht es dann auf die Straße. Und schon auf den ersten Kilometern wird klar: Dieser zuvor beschriebene Innenraum ist wie eine Gruft. Es herrscht Totenstille. Sie müssen also lernen, sich mit dem Geräusch Ihres im Ohr zirkulierenden Blutes anzufreunden. Aber erfolgreiche Menschen hören sich ja auch selbst gerne zu ...

Windgeräusche? Nebensächlich. Das liegt zum Teil an der (relativ für diese Fahrzeugklasse gesehen) beeindruckenden Aerodynamik. Die Designer haben darauf geachtet, dass die massige Gesamtform des Range Rover besser durch die Luft schneidet als zuvor, was zu einem cW-Wert von 0,30 führt. Zum Vergleich: Der Luftwiderstandsbeiwert des vollelektrischen Jaguar I-Pace liegt bei 0,29. Aber auch die MLA-Flex-Architektur mit einer laut Hersteller 24-prozentig verbesserten Geräuschübertragung trägt zu einer ruhigen Kabine bei.

Aber nicht nur mechanisch hat Land Rover alles dafür getan, dass es im neuen Range Rover so unglaublich leise ist. Das optionale Meridian Signature-System mit seinen insgesamt 43 Lautsprechern, sorgt ebenfalls für Ruhe. Dafür verantwortlich sind jeweils zwei 2,4-Zoll-Lautsprecher in den Kopfstützen, die zur aktiven Geräuschunterdrückung eingebaut wurden und die beiden Sitzplätze in der ersten Reihe sowie die äußeren Plätze im Fond noch einmal extra leise machen. Besonders bei niedrigen Geschwindigkeiten ist es fast unheimlich, wie Land Rover so die Abroll-Sounds der großen und bösen Welt in den Außenbereich der Fahrzeugkabine verbannt.

Fahrwerk. Fantastisch.

Aber zurück zu den weniger elektronischen Bauteilen - obwohl man fehlende Elektronik dem Fahrwerk nicht vorwerfen kann. Jeder Range Rover ist serienmäßig mit Luftfedern und einer Fünflenker-Hinterachse als Teil der Einzelradaufhängung ausgestattet. Bei der Abstimmung der Federung greift das System zusätzlich auf Navigationsdaten zurück, um sich auf bevorstehende Kurven vorzubereiten. Optional lässt sich dazu noch "Dynamic Response Pro" ordern. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich das, was normale Menschen als aktive Wankstabilisierung bezeichnen würden. Die Allradlenkung ist hingegen serienmäßig für die gesamte Modellreihe.

Auf den breiten und gut ausgebauten Straßen rund um Salzburg machen all diese Komponenten ein großartiges Fahrzeug aus dem Range Rover. Aber damit haben wir auch irgendwie gerechnet. Viel erstaunlicher ist, dass man, wenn die Wege schmaler und kurviger werden, diesem schwergewichtigen Brocken (je nach Ausführung sprechen wir hier schließlich von 2,5 bis 2,8 t) auch eine gewisse Agilität nicht absprechen kann. Natürlich wird aus dem Briten auch im Dynamic-Modus kein BMW X5 M oder ein Porsche Cayenne Turbo S, aber die Range dieses Rovers reicht eben von altehrwürdiger Gelassenheit bis hin zu einem Hauch von jugendlich-adipöser Verrücktheit.

Allgemein lässt sich festhalten, dass der Range Rover die Bewegungen seiner Karosserie hervorragend im Griff hat. Besonders in langen, geschwungenen Kurven. Dort lässt er sich mühelos bewegen. Mit einem ziemlich vorhersehbaren Wankverhalten und einer leichten, linearen Lenkung, die sich in der Kurvenmitte leicht einstellen lässt. In engeren Kurven wird es allerdings anstrengender, das Gewicht im Zaum zu halten und es dauert eine gute Weile, um auch hier das nötige Vertrauen in alle Bauteile aufzubauen.

Geländefahrten würden übrigens auch gehen. Land Rover und so. Wir beschränken uns aber auf einen kurzen Ausflug auf einen steinigen Feldweg, um festzustellen, dass das Fahrwerk keinerlei Anstalten macht, auch hier irgendein Gefühl von Unsicherheit in den Innenraum weiterzugeben. Theoretisch wäre aber deutlich mehr drin, wie die unglaublich vielen Offroad-Fahrprogramme, zwei elektronisch sperrbare Differenziale und sogar eine Untersetzung andeuten.

Offroad, aber mit Stil

Nackte Zahlen gefällig? Die Bodenfreiheit liegt (bei hochgefahrener Luftfederung im Gelände-Modus) bei bis zu 295 Millimeter, die Böschungswinkel liegen dann bei 32,1 Grad vorne und 29 Grad hinten und die Wattiefe von 900 Millimetern würde sogar eine Bachquerung möglich machen. Aber zum Glück sind die meisten Zufahrten zu Landsitzen oder die Wege zum Lieblingsgestüt mittlerweile befestigt und die bis zu 23 Zoll großen Felgen würden mit MT-Bereifung auch irgendwie komisch aussehen.

Für den ersten Teil unserer Testfahrt gehen wir gleich in die Vollen und wählen den neuen 4,4-Liter-V8 mit doppelter Turboaufladung. Das Aggregat stammt von BMW. Der Motor klingt ziemlich gut. Allerdings weniger bassig-grollend als das Vorgänger-Triebwerk aus eigener Entwicklung mit 5,0 Liter Hubraum, 565 PS und 700 Nm Drehmoment. Der neue Achtender kommt auf 530 PS und 750 Nm Drehmoment. Kein großer Unterschied, aber das volle Drehmoment liegt jetzt zwischen 1.800 und 4.600 U/min an. Beim alten Kompressor-Motor musste man sich noch mit einem deutlich schmaleren Drehzahl-Spaß-Band zufrieden geben (von 3.500 bis 5.000 U/min).

Schnell, schnell, schnell

Vom Start weg schiebt der Range Rover mit V8 mit einem kräftigen Grummeln im unteren Drehzahlbereich ordentlich an. Das 8-Gang-Automatikgetriebe von ZF schaltet sanft und sauber durch und die 100-km/h-Marke fällt bereits nach 4,6 Sekunden (die LWB-Version benötigt vernachlässigbare 0,1 bis 0,2 Sekunden länger). Erst bei 250 km/h macht Land Rover elektronisch Schluss. Und ja ... dieses Beschleunigungsmanöver ist jedes Mal aufs neue beeindruckend.

Auf den kurvenreichen Bergstraßen erwies sich der Range Rover als so kraftvoll, dass das ESP-Lämpchen immer mal wieder hektisch aufleuchtete und der Computer so versucht, den V8 zu zügeln. Durchdrehende Räder, Unter- oder Übersteuern wird so aber eindrucksvoll und sachte verhindert. Es ist also gut, dass die elektronischen Helfer da sind, sie aber nicht zu aggressiv in den Fahrbetrieb eingreifen.

Weiter geht's mit dem D350 mit 3,0-Liter-I6-Diesel. Auch wenn sich laut Hersteller 43 Prozent der Kundinnen und Kunden des Range Rover aktuell für den V8 entscheiden (die Angst vor dem Verbrenneraus scheint gewaltig), hat der Selbstzünder durchaus seinen berechtigten Platz unter der Haube bekommen. Die Leistung von 350 PS ist zwar deutlich geringer, aber das Drehmoment von 700 Nm von 1.500 bis 3.000 U/min ist ähnlich kräftig ausgelegt. Wenn man es darauf anlegt merkt man zwar, dass das Plateau nicht sooo groß ist wie beim Benziner, aber flott (und akustisch ansprechend) ist der Diesel trotzdem. 0-100-km/h? 6,1 s. Topspeed? 234 km/h.

Die Verbräuche? Hoch. Den V8 bewegen wir mit rund 15 l/100km, der Diesel ist mit etwa 10 l/100km im Testbetrieb natürlich etwas sparsamer gewesen. Wenn diese Zahlen nicht mit Ihrem Gewissen vereinbar sein sollten, gibt es immer noch die Möglichkeit, auf die beiden PHEV-Modelle zurückzugreifen. Dann kombiniert Land Rover den 3,0-Liter-Sechszylinder-Benziner mit einem Elektromotor, der seinen Strom aus einem 31,8 kWh großen Akku bezieht. 109 km WLTP-Reichweite werden attestiert und rein theoretisch würden sich so Verbräuche von 0,9 l/100km realisieren lassen. Und 2024 kommt dann auch noch eine vollelektrische Version.

Die Preisfrage

Über den Maximalpreis haben wir ja schon zu Anfang dieses Artikels aufgeklärt. Blicken wir also nun auf die Basis. Los gehts bei 125.900 Euro. Immer noch viel Geld, aber tatsächlich weniger als die Hälfte des All-in-Range. Das ist ziemlich wunderlich, denn beim Blick in die Ausstattungsliste, sind selbst in der Einstiegsversion schon recht viele Optionen serienmäßig verbaut. Wir spielen also noch ein bisschen im Konfigurator und kommen letztendlich zu dem Schluss, dass ein "sinnvoller" Range Rover P530 mit kurzem Radstand rund 170.000 Euro kosten dürfte. Ein adäquat ausgestatteter D350 liegt hingegen bei "nur" etwa 155.000 Euro.

Fazit: 10/10 Punkte

Nach der langen Abhandlung machen wir es so kurz wie möglich: Der neue Range Rover ist, für das was er sein will, eigentlich perfekt. Punkt.


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