Hier fahren Sie besser!
Neu- und Gebrauchtwagen auf automobile.at

Bugatti Chiron Pur Sport (2021) im Test: Sprung in den Hyperraum

Bugatti baut einen Chiron mit Handling-Fokus, gibt aber nur wenig der brutalen Performance auf

Motor1.com Deutschland: Auto-Tests, Auto-News und Analysen
Marke wählen

Zwei Sekunden. Tätowiere das Gas bei normaler Landstraßen-Geschwindigkeit und spätestens jetzt hat der Bugatti Chiron Pur Sport einen Speed drauf, der den lieben Wachtmeister in Zivil am Straßenrand in den vollendeten Panik-Modus versetzt. 

Und dabei war ich bis dahin sooo brav. 

Der Pur Sport ist weltweit auf 60 Exemplare limitiert. Er kostet um die 3,15 Millionen Euro. Und er verlangt von dir ein komplett neues Level an Respekt, Aufmerksamkeit und Vorsicht. Die ersten zehn Minuten meiner gut zwei Stunden hinterm Steuer fuhr ich folglich wie ein Greis. Ein Greis auf dem Weg zum Mittagsschlaf nach einem Fast-Food-All-you-can-eat.

Aber irgendwann erinnerst du dich dann doch an den 8,0-Liter-Quadturbo-W16 in deinem Rücken und dann öffnet sich da vor dir plötzlich diese lange breite Gerade ... was soll ich sagen, ich bin halt auch nur ein Mensch. 

Wundersamer- und barmherzigerweise hat es der Officer bei einer strengen Warnung belassen. Allerdings musste er auch zugeben, dass er sich das "verrückte Raumschiff", das da so ansatzlos hinter ihm auftauchte schon gerne mal genauer ansehen wollte. 

Trotz des glimpflichen Ausgangs ist der Vorfall eine gute Erinnerung, in welch kurzer Zeit dich 1.500 PS in sehr große Schwierigkeiten bringen können. Und das, obwohl Beschleunigungsorgien noch nicht einmal die Kernkompetenz des Pur Sport sind. 

So pur wie möglich

Während der "normale" Chiron als Allround-Überhammer und Brecher sämtlicher Geschwindigkeitsrekorde entwickelt wurde, liegt der Fokus beim Pur Sport deutlich mehr auf den Themen Handling und Agilität. Dafür geht er sogar noch einige Schritte weiter als der Divo. Das Ziel war es, das bisher Rennstrecken-tauglichste Bugatti-Hypercar zu kreieren. 

Die Aggressivität im Erscheinungsbild hat man merklich nach oben geschraubt, aber die äußerlichen Veränderungen verfolgen natürlich auch einen Zweck. Die größeren Lufteinlässe sollen die Vielzahl an Kühlern mit Nahrung versorgen und der größere Carbon-Splitter an der Front erhöht den Abtrieb. 

Auf der anderen Seite opfert Bugatti den aktiven Heckspoiler des Chiron zugunsten eines großen, feststehenden Heckflügels, der mehr Highspeed-Stabilität gewährleistet und die auch ein paar Kilo einspart.  

 

1.500 PS sind in der Lage, dich in sehr kurzer Zeit in sehr große Schwierigkeiten zu bringen.

Alles in allem konnten die Ingenieure laut Bugatti gut 50 Kilo aus dem Auto nehmen. Allerdings inklusive der optionalen Magnesium-Räder, die alleine 16 Kilo an ungefederten Massen einsparen, am Testwagen jedoch nicht verbaut waren.  

Zugegeben, das mag nicht revolutionär klingen bei einem Auto, das gut zwei Tonnen auf die Waage bringt, aber ein relativ beeindruckender Kraftakt ist es allemal, wenn man bedenkt, dass bereits der normale Chiron ohne Kosten-Rücksicht auf Gewichtsoptimierung getrimmt wurde.

Das Interieur spielt hier ebenfalls eine Rolle. Reduziert auf das Nötigste (oder was bei einem 3,15-Millionen-Euro-Auto als das Nötigste durchgeht) und übersäht mit Alcantara, hilft es, überschüssige Pfunde abzubauen. Gleichzeitig soll der Fahrer von mehr Halt und Kontrolle bei extremeren Fahrmanövern profitieren.  

Und besagte Manöver erhalten durch einige ziemlich substanzielle Fahrwerks-Optimierungen ganz neue Nahrung. Neu kalibrierte Dämpfer und steifere Federn (65 Prozent vorne, 33 Prozent hinten) sollen die Kontrolle über den Aufbau verbessern. Zudem wurde an der Vorderachs-Geometrie geschraubt, was hier zu bemerkenswerten 2,5 Grad Negativ-Sturz führt. Zusammen mit steiferen Buchsen und einem Satz extremer Michelin Pilot Sport Cup 2 R-Pneus tauscht der Chiron Pur Sport Teile seiner GT-Skills gegen ein sensibleres, beweglicheres Fahrverhalten und deutlich mehr Grip.

Der Motor wiederum wird nahezu unverändert vom Standard-Chiron übernommen. Lediglich die Maximaldrehzahl hat man um 200 auf 6.900 Touren angehoben. Außerdem erhielt das 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe eine neue Abstufung. Eine um 15 Prozent kürzere Übersetzung soll das Ansprechverhalten verbessern. 

In jeglichem Szenario außerhalb Volkswagens acht Kilometer langer Test-Gerade in Ehra-Lessien fühlt sich der Pur Sport noch instinktiver an als der normale Chiron.

All das Track-Tuning bringt jedoch auch Einbußen in einem anderen Performance-Zusammenhang, einfach weil der Pur Sport elektronisch auf "nur noch" 350 km/h Höchstgeschwindigkeit begrenzt ist. Obwohl sicher auch die Aero-Maßnahmen und die kürzere Übersetzung eine Rolle spielen, geht die Limitierung laut Bugatti weitgehend auf das Konto der klebrigen Cup-Reifen. 

In jeglichem Szenario außerhalb Volkswagens acht Kilometer langer Test-Gerade in Ehra-Lessien fühlt sich der Pur Sport jedoch noch instinktiver an als der normale Chiron. Nach meinem spontanen Interview mit dem Arm des Gesetzes konnte ich das im Angeles National Forest, einem Netzwerk gewundener Bergstraßen einige Meilen nordöstlich von Downtown Los Angeles, zumindest ansatzweise herausfahren. 

1.500 PS-Track-Star

Die Beschleunigung ist, da erzähle ich sicher nichts bahnbrechend Neues, Comic-haft brutal. Obwohl Bugatti ein weitgehend flaches Drehmoment-Plateau zwischen 2.000 und 6.000 Touren anführt, scheint sich der absurde Schub in zwei eigenständigen, kurz aufeinander folgenden Stufen zu entfesseln. Stufe Eins beeindruckt, Stufe Zwei verschlägt einem den Atem.  

Der Pur Sport verfügt über die Fahrmodi EB, Autobahn und Handling. Dazu gibt es einen ESC Sport Plus-Modus, der die Stabilitätskontrolle lockert und ein wenig Nervosität im Heck zulässt, wenn Sie das wollen. Bugatti will allerdings wirklich sicher sein, dass Sie das wollen: Die ersten drei Fahrstufen sind über das Drehrädchen am Lenkrad anwählbar, für Sport Plus müssen Sie allerdings zuerst einen speziellen Handling-Modus auswählen und anschließend den ESP-Knopf links neben der Lenksäule drücken. 

Den Großteil meiner Fahrzeit verbrachte ich im EB-Modus, der als Standard-Einstellung fungiert. In der Stadt fühlt sich das Auto spürbar straffer an als der normale Chiron, richtig strapaziös wird es allerdings nicht. Der Autobahn-Modus ist natürlich vornehmlich für Hochgeschwindigkeitsfahrten gedacht, entsprechend setzt sich hier die Front des Autos ein wenig, um den Luftwiderstand zu optimieren. Allerdings konnte ich ja schon auf der Landstraße in Erfahrung bringen, welche Folgen derartige Spielereien haben. 

Der Handling-Modus ist die aggressivste der drei Einstellungen und das Dämpfer-Setting geht hier eher in Richtung "topfebener Grand-Prix-Kurs". Also eher nichts für den welligen, leicht kaputten Belag des Angeles Crest Highway. Oder für die Nordschleife, wo ein bisschen Federung ja auch nicht unbedingt schadet. Sollten Sie also mal einen Pur Sport am Ring sehen, sagen Sie dem Fahrer bitte Bescheid. 

Ganz unabhängig vom gewählten Fahrmodus beißt sich der Pur Sport dank des größeren Sturzes und der Cup 2 R-Reifen mit deutlich mehr Hartnäckigkeit in die Kurve als das Auto, auf dem er basiert. Dank der steiferen Buchsen fühlt man zudem mehr Rückmeldung von der Lenkung. Grundsätzlich fühlt sich diese Version auf kurvigen Abschnitten einfach lebendiger und mehr in ihrem Element an.  

Eines bleibt aber - trotz all der Optimierungen, die im Namen des Handlings vorgenommen wurden- wie es auch bei all den anderen Chiron-Varianten ist: Der W16 stiehlt noch immer die Show. Im Zuge der Diät-Maßnahmen und der allgemein eher Race-orientierten Kalibrierung, vernichteten die Molsheimer beim Pur Sport auch eine ordentliche Menge an Dämmmaterial. Entsprechend dringt deutlich mehr von der Auspuffanlage (mit ihren neuen, 3D-gedruckten Titan-Endrohren) ins Innere des Autos. 

Ein sehr eigenständiges Grollen, in gewisser Weise V8-like, aber irgendwie düsterer, wütender. Da hat Bugatti schon einen Klang erfunden, den man sonst so nirgendwo anders finden wird. Naja, und über den Schub, den diese 1.500 PS anrichten, haben wir uns ja vorher schon unterhalten. Es ist absolut schockierend, jedes einzelne Mal. 

Bei der Rückfahrt zum vereinbarten Abgabepunkt, denke ich schließlich über den Platz des Chiron Sport in der automobilen Welt nach. Realistisch gesehen verwischt das Level an jederzeit verfügbarer Performance jeglichen Gedanken an einen normalen Gebrauch auf öffentlichen Straßen. Nicht nur, weil man sich ständig mit eineinhalb Beinen im Knast wähnt, sondern weil die meisten Straßen einfach nicht für diese Art von Tempo gemacht sind. Auf der anderen Seite wird er mit einem Gewicht von gut 1.950 Kilo vermutlich auch keine epischen Rundenrekorde aufstellen. 

Vermutlich mehr als jeder andere moderne Bugatti vor ihm wurde der Pur Sport gebaut, um hart gefahren zu werden und den Fahrer für seine Bemühungen zu belohnen.

Stattdessen existiert der Chiron Pur Sport, wie die diversen Chiron- und Veyron-Modelle vor ihm, wirklich als Beispiel dafür, was möglich ist, wenn der absolute Superlativ als Ziel ausgegeben wird, wenn man die Grenzen der Extreme weiter verschiebt. Und all das auch noch mit überraschender Alltagstauglichkeit und einer Optik zum Niederknien. Selbst die Polizei kann nicht anders als ihren Hut zu ziehen (Gott sei Dank war das in meinem Fall alles, was sie zog).

Nun werden vom Chiron Pur Sport natürlich nur ein paar Dutzend Fahrzeuge hergestellt. Jedes einzelne davon mit einem Preisschild, das selbst Oligarchen die Schamesröte ins Gesicht treibt. Daher ist wohl oder übel davon auszugehen, dass der große Teil davon ein distinguiertes, klimatisiertes Leben führt. Mit einem Kilometerstand, der sich über die Jahre kaum verändern wird. Und das ist wirklich mehr als schade. 

Vermutlich mehr als jeder andere moderne Bugatti vor ihm wurde der Pur Sport gebaut, um hart gefahren zu werden und den Fahrer für seine Bemühungen zu belohnen. Es bleibt zu hoffen, dass die 16 im Zentrum des Hufeisengrills eines jeden Exemplars - eine Verneigung vor der Motorsport-Geschichte der Marke - die Chance bekommt, in ihrem Leben zumindest ein paar Start-/Ziel-Linien zu sehen. 

© Motor1.com