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Test Ford Focus ST (2019): Besser als GTI, i30N und Co?

Ein sehr unterhaltsamer Kompaktsportler. Aber zwei Dinge nerven ganz schön ...

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Was ist das?

Macht Euch keinen Druck, Ford! Es ist nur ein Auto, dass sehr viele Menschen sehnlichst von Euch erwartet haben. Der Hot-Hatch-Sektor boomt. Die Menschen lieben wieder fähige, bezahlbare Kompaktsportler. Das dürfte daran liegen, dass es derzeit so viele fähige und bezahlbare Kompaktsportler gibt, wie noch nie. Peugeot 308 GTi, Renault Mégane R.S., Hyundai i30 N oder der allmächtige Honda Civic Type R - die Konkurrenz ist gewaltig. Außerdem hat Ford einen Ruf zu verlieren. Der letzte Focus RS (a.k.a "die Driftmaschine") war ein echtes Brett. Und der aktuelle Fiesta ST ist schlichtweg sensationell. Ford Performance hat gerade das, was man einen Lauf nennt. Und den soll der neue Focus ST bitte schön weiterführen. Sein Vorgänger war technisch nicht so raffiniert, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte. Das kann man dem neuen ST definitiv nicht vorwerfen.

Wunderbare Überleitung. Was ist neu?

Oh, ungefähr alles. Der alte Focus ST war ein relativ simples Gemüt, aber das geht bei der heutigen Konkurrenz nicht mehr. Der Neue ist technologisch wesentlich anspruchsvoller unterwegs. Er hat adaptive Dämpfer, ein elektronisches Vorderachs-Sperrdifferenzial, diverse Fahrmodi und absolut gigantische Michelin-Pilot-Sport-4S-Reifen. Außerdem können Sie ein Performance-Paket buchen, das dem Auto einen eigenen Rennstrecken-Modus, eine Zwischengas-Funktion beim Runterschalten, eine Launch-Control und eine Anzeige für optimale Schaltzeiten spendiert. Ach ja, wesentlich mehr Dampf als bisher hat er natürlich auch.

Sehr erfreulich. Was steckt denn drin?

Ein 190-PS-Diesel. Moment, WAAAS? Ha, geben Sie es zu, Sie waren kurz fassungslos. Na gut, wenn Sie Kilometer schrubben wie ein Irrer, können Sie auch einen Selbstzünder haben. Der Zweiliter bietet 400 Nm Drehmoment, geht sehr ordentlich (0-100 km/h in 7,6 Sekunden, 220 km/h Spitze) und soll mit 4,8 Liter auskommen. Aber wenn Sie nur einen Tropfen Benzin im Blut haben, wollen Sie natürlich den 2,3-Liter Ecoboost. Abgesehen vom Audi RS 3 ist der neue ST damit der Haubraum-King im Segment. Die Leistung liegt mit 280 PS auf Augenhöhe mit Mégane R.S, i30 N und dem, was der nächste Golf GTI haben dürfte. Mit 320 PS ist der Civic Type R noch etwas fetter unterwegs, aber beim Drehmoment steckt der Ford alle in die Tasche. 420 Nm zwischen 3.000 und 4.000 Umdrehungen. Bäääm!

Ford Focus ST Turnier (2019) im Test

Bedienen Sie das erfreulich kurze und satt klackende Sechsgang-Getriebe mit ausreichend Geschick und der ST knallt in 5,7 Sekunden von 0-100 km/h, ganze 0,8 Sekunden schneller als der Vorgänger. Europas Ford-Performance-Bigboss Leo Roeck ergänzt, dass der Neue von 80 - 120 sogar schneller ist, als der letzte Focus RS. Was er ebenfalls sagt: Dass Drehmoment der Schlüssel zu einem guten Kompaktsportler ist. Einfach zugängliche, gut nutzbare Power, wann immer man will. Ziemlich genau so würde ich den Motor des neuen ST beschreiben. Man könnte es auch anders ausdrücken: Er ist ziemlich großartig. Jederzeit extrem giftig am Gas, beeindruckend stämmig und sehr gierig bis zum Limit bei etwa 6.800 Touren (keine Sorge, man braucht hier nicht mehr). Der Kerl macht wirklich keine Gefangenen - kurz Gas geben und volle Lotte ab dafür. Jederzeit. So wirkt das Auto grundsätzlich sehr kräftig, sehr schnell. Und das total mühelos. 

Der Klang ist weniger meins, aber das ist sicher Geschmacksache. So wie Ford das seit ein paar Jahren nunmal macht, wird auch hier ordentlich Kunstsound in den Innenraum gepumpt. Das klingt alles arg nach Computerspiel und dröhnt ganz schön heftig. Vor allem im Sportmodus, der dem ST aber immerhin auch sehr coole (weil unregelmäßige) Plopper und Spratzer aus dem Auspuff entlockt.

Und jetzt die alles entscheidende Frage: Fährt er so gut, wie erhofft?

Das kann man so sagen. Man fühlt sich augenblicklich an den Fiesta ST erinnert und das ist eine sehr gute Sache. Auch der Focus ST wirkt extrem energiegeladen, fast hyperaktiv vor Fahrlaune. Er hat Ecken und Kanten, zeigt Charakter. Die Vorderachse ist unglaublich kurvenhungrig, das Heck wirkt jederzeit mobil. Wie der kleine Bruder hebt auch der Focus gerne mal das innere Hinterbein oder rutscht ein bisschen mit, um die Linie zu schärfen. Reinsetzen und sofort Spaß haben. Die Traktion ist dank der Vorderachs-Sperre und der sagenhaft klebrigen Michelin-Gummis absolut hervorragend.

Das Auto wirkt nervöser, flummiger als ein i30 N, natürlicher und hemdsärmeliger als der etwas arg digitale Mégane R.S. mit seiner ständig übersteuerwilligen Hinterachslenkung. Der ST gibt Ihnen viele Optionen: Sehr stabil und neutral, wenn Sie ihn sauber fahren, aber für sehr hecklastigen Spaß zu haben, wenn Sie die Sau raus lassen. 

Aber er ist schon ein recht wilder Hund, der manchmal etwas anstrengend sein kann. Gegenüber dem allmächtigen Civic Type R braucht es hier definitiv weniger verrückte Geschwindigkeiten, um für Spektakel zu sorgen. An die ultimative Geschmeidigkeit, den famosen Schliff und die überragende Dämpfung des Honda reicht der ST aber nicht heran. Zum einen liegt das an der Lenkung. Sie ist pfeilschnell und super präzise, aber mit so fürchterlich viel Rückstellmoment versehen, dass völlig unnötig ein riesiger Haufen Kontrolle flöten geht. Das (etwas große) Lenkrad dreht sich schwer und schnalzt noch schwerer zurück. So wirkt das Auto mega agil, aber total nervös. Beim Beschleunigen aus der Kurve heraus, gerade wenn die Straße mal etwas schlechter ist, tanzt das Teil zwischen den Fingern rum wie wild und zerrt den Focus in alle Richtungen. 

Und dann wäre da noch die Federung. Klar, der ST muss fahrdynamisch einen draufsetzen. Gegenüber einem ohnehin schon sehr guten normalen Focus. Er ist 10 mm tiefer, hat bis zu 19 Zoll große Räder. Aber er ist wirklich sehr sehr straff. Trotz adaptiver Dämpfer. Im Normal-Modus geht es gerade noch. Wenn der Asphalt halbwegs in Ordnung ist. In "Sport" und "Race" sind dann echte Nehmerqualitäten gefragt. Womöglich wollen das die meisten Hot-Hatch-Fans so, für mich hätte es etwas weniger Härte auch getan.

Wie ist er innen?

Um Welten besser als der Vorgänger. Endlich fühlt man sich vorne nicht mehr eingequetscht wie im Sitz einer sehr gefährlichen Achterbahn. Fahrer und vor allem der Beifahrer haben deutlich mehr Platz. Und die Recaros sind nun auch für Menschen geeignet, die mehr als 50 Kilo wiegen. Schön viel Seitenhalt bieten sie dennoch. Und eine für Ford ungewohnt tiefe Sitzposition. Gut gemacht. 

Weitere ST-Schmankerl kommen in Form von Alupedalen und einem unten abgeflachten, etwas klobigen Lenkrad mit grauen Nähten. Sollten Sie den gut versteckten Startknopf irgendwann gefunden haben, erscheinen spezielle ST-Grafiken auf allen vorhandenen Displays. Die Qualität von Materialien und Verarbeitung ist inzwischen wirklich sehr ordentlich. Das Platzangebot auch. Wenn Sie viel mehr davon brauchen - der Focus ST ist erfreulicherweise auch wieder als Kombi zu haben. 

Soll ich ihn kaufen?

Lassen Sie mich heute mal mit den Gründen anfangen, die gegen einen Kauf sprechen. Der neue Focus ST ist ganz typisch für die Ford-Performance-Autos der jüngeren Vergangenheit. Er ist relativ extrem auf jederzeit erlebbare Fahrdynamik ausgerichtet. Er ist immer superdirekt, er ist immer ein wenig nervös, kernig, schroff, ein bisschen wild. Im ganz normalen Alltag lebt man mit einem Golf GTI oder einem Hyundai i30 N wahrscheinlich etwas entspannter.

Aber: Wer genau diese Attribute schätzt, der kriegt derzeit kaum etwas, das so leicht zugänglichen Spaß bietet. Einen wirklich extrem gut aufgelegten Motor, ein grandios verspieltes Fahrwerk, hochkompetente Fahrdynamik und jede Menge Spektakel. Das alles zu einem noch immer reichlich kompetitiven Preis. Der ST-Benziner startet bei 32.900 Euro, hat dafür aber schon so gut wie alles an Bord, was man braucht. Inklusive Recaros, großem Navi, Einparkhilfen (endlich auch vorne) und der tollen Vorderachssperre. Addieren Sie noch die 1.200 Euro fürs Performance-Paket und Sie sind auf der sicheren Seite. Sollten Sie - warum auch immer - eine Automatik wollen: Eine 7-Gang-Box ist ab Oktober für den Benziner erhältlich. Zum Vergleich: Der Renault Mégane R.S. kostet ab 34.980 Euro, der Hyundai i30 N Performance ab 33.100 Euro und der Honda Civic Type R ist ab 37.590 Euro zu haben. 

Fazit: 7/10

+ sehr kräftiger, leichtfüßiger, drehfreudiger Motor; knackiges Getriebe; extrem agiles, humorvolles, hemdsärmeliges Fahrverhalten; grandiose Traktion

- sehr straffes Fahrwerk; Lenkung mit viel zu viel Rückstell-Moment; brummiger, sehr künstlicher Klang

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